Nach dem BSG-Urteil: Wie geht es weiter mit der Gesundheitsförderung in Lebenswelten?

Gesundheitsförderung und Prävention in sogenannten Lebenswelten sollen auch in Zukunft als Gemeinschaftsaufgabe aller gesetzlichen Krankenkassen organisiert werden. Ein aktuelles Gerichtsurteil erfordert jetzt jedoch eine Neugestaltung des Engagements der Kassen in diesem Präventionszweig. Deshalb sucht die AOK Nordost zusammen mit anderen Krankenkassen nach Lösungen, wie die lebensweltbezogene Gesundheitsförderung und Prävention auch in Zukunft als Gemeinschaftsaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) organisiert werden kann.

Umstrittene Finanzierung mit Kassengeldern 

Mit dem Präventionsgesetz im Jahr 2015 war der GKV-Spitzenverband verpflichtet worden, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu beauftragen und ihr zuletzt jährlich rund 35 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Geld wiederum unterstützt die BZgA die gesetzlichen Krankenkassen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten (geregelt in § 20a Abs. 3 und 4 SGB V). Unter „Lebenswelten“ werden die Projekte verstanden, die sich im unmittelbaren sozialen Umfeld befinden, wie beispielsweise der Wohnort, die Kita oder die Schule. Im Zusammenhang mit diesem gesetzlichen Auftrag haben die Krankenkassen die gemeinsame Initiative „GKV-Bündnis für Gesundheit“ als organisatorischen Rahmen für die Umsetzung geschaffen. 

Grundsätzlich betrachten die gesetzlichen Krankenkassen eine gesetzlich verankerte Regelung zur Unterstützung der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention als wichtige Aufgabe der GKV. Dennoch hatten sie grundsätzliche Einwände gegen die Finanzierung einer staatlichen Behörde mit Geld aus den Beiträgen der Versicherten. Damit werde der Bereich der „Sozialversicherung“ verlassen, so die Befürchtung. Deswegen hat der GKV-Spitzenverband die Regelung von Beginn an kritisiert und sie schließlich sogar gerichtlich überprüfen lassen. 

Erfolgreiche Klage gegen Beauftragung der BZgA

Die Klage des GKV-Spitzenverbandes vor dem Bundessozialgericht (BSG) hatte letztendlich Erfolg. Der Bund müsse die organisatorische und finanzielle Selbstständigkeit der Sozialversicherungsträger, in diesem Fall der Krankenkassen, wahren. Außerdem dürfe der Bund seinen eigenen Behörden keine Aufgaben der Sozialversicherung übertragen, urteilte das BSG. Die Beitragsmittel der Versicherten dürften allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden, so das Urteil. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliefen die spezielle Konstruktion einer gesetzlichen Beauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durch den GKV-Spitzenverband mit einer pauschalen, vom Auftragsumfang unabhängigen Vergütung.

Neuregelung der Vertragsverhältnisse 

Im Ergebnis des BSG-Urteils wurde die Regelung zur Beauftragung und Finanzierung der BZgA zwar als verfassungswidrig eingestuft. Allerdings blieb die rechtliche Norm weiterhin in Kraft. Der GKV-Spitzenverband und die BZgA haben deshalb im Dezember 2021 ihre Vereinbarungen zur Zusammenarbeit bei Präventionsprojekten geändert. Mit dieser „Änderungsvereinbarung“ wird festgestellt, dass zwar die Regelung aus dem Präventionsgesetz in Kraft bleibt, allerdings nicht wie bisher umgesetzt wird.  

Die Partner einigten sich darauf, dass ein Großteil der Aktivitäten des GKV-Bündnisses für Gesundheit bis März 2023 weiter finanziert wird. Dafür können die restlichen Gelder der GKV verwendet werden, die der BZgA für die Finanzierung von Aufgaben gemäß §20a SGB V zur Verfügung stehen. Ende Juni 2021 waren das immerhin 83,8 Millionen Euro. Zeitgleich muss die BZgA damit beginnen, zusätzliche Personalstellen und den Verwaltungsaufwand für die Präventionsprojekte reduzieren. 

Darüber hinaus gibt es aber auch GKV-gemeinschaftliche Projekte zur „Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten“, die bereits unterschriebene Verträge mit längeren Förderungszeiträumen haben. Sie sollen im Rahmen einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“ der Kassen weiter gefördert werden. Dafür werden derzeit Regelungen zum Verfahren zwischen den Kassen erarbeitet.

Weiterentwicklung des GKV-Bündnisses für Gesundheit 

Darüber hinaus suchen die Krankenkassen zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium nach einer Lösung, wie kassengemeinschaftliche Leistungen im Rahmen der Prävention in Lebenswelten ab 2023 rechtskonform realisiert werden können. 

So planen die Kassen ihr Engagement im GKV-Bündnis für Gesundheit stärker auf die Landesebene zu verlagern und die Initiativen und Projekte für vulnerable Zielgruppen und Kommunen ohne die BZgA fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Die Vorhaben der GKV-Bündnisse auf Landesebene sollen in begrenztem Umfang durch Aktivitäten auf der Bundesebene ergänzt und unterstützt werden. Dabei soll das GKV-Bündnis auf Bundesebene gemeinsam in gleichberechtigter Kooperation von GKV-Spitzenverband und den Kassenverbänden auf der Bundesebene verantwortet werden. 

Position der AOK Nordost 

Matthias Auth, AOK Nordost

„Die Kassenarten übergreifende Gesundheitsförderung in Lebenswelten soll auch in Zukunft als GKV-Gemeinschaftsaufgabe verbindlich geregelt werden“, betont Matthias Auth von der AOK Nordost. „Im Rahmen der Beauftragung der BZgA sind gute Initiativen des GKV-Bündnisses für Gesundheit entstanden. Sie sollen gesichert werden, um sie in Strukturen überführen zu können, die von der gesetzlichen Krankenversicherung selbst gesteuert werden. So könnten die Programmbüros im zukünftigen GKV-Bündnis für Gesundheit auf der Landesebene als zentrale koordinierende Stelle verankert werden. Das Aufgaben- und Kompetenzprofil wird dann auf die neuen Anforderungen angepasst“, so Matthias Auth weiter. 

„Diese Entwicklungen werden von uns eng begleitet. So wurden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin in den vergangenen Jahren unter großen Anstrengungen professionelle und verlässliche Strukturen für die Gesundheitsförderung in Lebenswelten aufgebaut. Diese sollten so in die künftige Ausgestaltung überführt werden, dass die Erfahrungen und Kompetenzen nachhaltig genutzt werden“, sagte Matthias Auth. „Den Fokus sehen wir bei den Ländern, die an den Bedarfen und der Umsetzung nah dran sind. Bei der Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebenswelten sollten außerdem weitere Akteure einbezogen werden. Letztlich muss eine sinnvolle Neugestaltung des Präventionsgesetzes sicherstellen, dass die lebensweltbezogene Gesundheitsförderung und Prävention besonders wirkungsvoll umgesetzt werden kann: als Gemeinschaftsaufgabe mit der Kompetenz vieler Beteiligter.“ 

Beispiele aus der Praxis

Gesund in Berlin – Stadtteile im Blick (GiB): Im Rahmen der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Berlin (KGC Berlin) fördert das Programm Maßnahmen für vulnerable Zielgruppen in den Handlungsfeldern gesunde Ernährung, Bewegungsförderung, Stressbewältigung, Gesundheits- und/oder Lebenskompetenzen, Gewaltprävention, soziale Kompetenzen und Suchtmittelkonsum. Die Aktivitäten des Programms konzentrieren sich auf Stadtteileinrichtungen (Stadtteilzentren, Familienzentren, Jugendfreizeiteinrichtungen, LebensMittelPunkte) in sozial benachteiligten Quartieren. (Laufzeit 01.01.2021 bis 31.12.2024)

selbstbestimmt – Suchtprävention für vulnerable Zielgruppen im Land Brandenburg: Das Projekt hat zum Ziel, regionale Akteur:innen im Land Brandenburg bei der Entwicklung und beim Aufbau zielgruppenspezifischer Suchtpräventionsprojekte sowie der Weiterentwicklung bestehender Angebote zu unterstützen. Der Fokus liegt hierbei auf Projekten für Kinder aus suchtbelasteten Familien, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationsgeschichte sowie älteren Menschen. (Laufzeit: 01.09.2020 bis 31.08.2024)

Bewegungsförderung für ältere Menschen in Mecklenburg-Vorpommern: Im Rahmen des Projektes werden gesundheitsfördernde Strukturen und Angebote aufgebaut, die älteren Menschen einen besseren Zugang zu Bewegungsangeboten ermöglichen und die Motivation zur Teilnahme erhöhen. Dafür werden niedrigschwellige, wohnortnahe und kostengünstige Bewegungsangebote im ländlichen Raum geschaffen, beispielsweise durch die Beratung und Qualifizierung von Freiwilligen, die dann als Übungsleiter tätig werden oder durch die Unterstützung von Sportvereine beim Aufbau neuer Angebote. (Laufzeit: 01.07.2020 bis 31.12.2022)

Leave a reply:

Your email address will not be published.