Mehr Beratung, weniger Rücken-Operationen

Wer nach einer ärztlichen Empfehlung zu einer Operation am Rücken noch eine Zweitmeinung einholt, könnte um die OP herumkommen. So ist die Zahl der tatsächlich durchgeführten Operationen bei den Teilnehmenden am AOK-Zweitmeinungsprogramm RückenSPEZIAL um 42 Prozent zurückgegangen. Das zeigt eine Studie der AOK Nordost, die bei Springer Nature veröffentlicht worden ist. Noch geringer fiel der Anteil der Operationen unter den Teilnehmenden aus, die auf ärztliche Empfehlung hin eine intensive und abgestimmte Behandlung durch verschiedene Fachärzt:innen und Therapeut:innen erhielten. Diese sogenannte interdisziplinär-multimodale Schmerztherapie ist Teil des Zweitmeinungsprogramms.

„Was bisher nur eine Vermutung war, haben wir jetzt bewiesen: Zweitmeinungsverfahren können die Mengendynamik bei potenziell nicht angemessenen Operationen eindämmen“, sagt Dr. Christoph Wagner, Gesundheitsökonom im Bereich Versorgungsmanagement der AOK Nordost, der die Evaluation durchgeführt hat. Die Behandlungsverläufe von 216 Versicherten flossen in die Studie ein: 108 Versicherte nahmen am RückenSPEZIAL-Programm teil. 108 ähnliche Versicherte, die nicht am Programm teilnahmen, wurden als Vergleichsgruppe herangezogen. Alle 216 Versicherten hatten eine Erstempfehlung für eine Rückenoperation erhalten.

Eine Operation sollte das letzte Mittel sein

Die Ergebnisse machen Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen Hoffnung. Denn so eine Rückenoperation ist ein komplizierter Eingriff und keine Lappalie“, sagt Grit Ayyad, Beratungsärztin bei der AOK Nordost. „Von Blutungen über Nervenverletzungen bis hin zu Infektionen und Narbenbildungen, die dann wieder weitere Schmerzen hervorrufen – die Risiken sind nicht unerheblich. Eine Operation sollte daher immer nur dann erfolgen, wenn alle anderen Behandlungsmethoden ausgeschöpft wurden und nichts gebracht haben.“

Zweitmeinungsprogramm erspart Folgeoperationen

Im spezialisierten Zweitmeinungsprogramm RückenSPEZIAL nehmen sich Fachärzte, Physiotherapeuten und Schmerz-Psychotherapeuten eines zertifizierten Rückenzentrums die Zeit für eine eingehende mehrstündige Untersuchung. Auf deren Grundlage geben die Experten dann in enger Abstimmung untereinander eine individuelle Therapie-Empfehlung ab. „Unsere Evaluation zeigt, dass in signifikant vielen Fällen eine Kombination verschiedener konservativer Behandlungsverfahren eine Operation ersetzen kann“, sagt Dr. Christoph Wagner.

Das Zweitmeinungsverfahren erspart übrigens auch Folge-Operationen: Zahlen der AOK Nordost zeigen, dass von den insgesamt 4.063 Versicherten, die sich 2019 einer Rückenoperation unterzogen, beinahe jeder achte in der Folgezeit mindestens ein zweites Mal aufgrund der gleichen Beschwerden operiert wurde.

„Eine Rücken-OP kann häufig vermieden werden“

Dr. Ulf Marnitz ist Facharzt für Orthopädie und leitender Arzt am Rückenzentrum am Markgrafenpark in Berlin. Hier spricht er als Experte für die mit der AOK Nordost kooperierenden Rückenzentren in der gesamten Region.

Dr. med. Ulf Marnitz. Foto: Binh Truong

Haben Patienten, deren Diagnose zu einer OP führt, das Recht auf eine zweite Meinung?

Dr. Marnitz: Selbstverständlich hat jeder das Recht dazu. Dabei kommt es auch darauf an, um welche OP es sich genau handelt. Patientinnen und Patienten, die vor der Entscheidung eines Eingriffs an der Wirbelsäule oder am Knie stehen, sollten stets eine Zweitmeinung einholen. In speziellen Rückenzentren, die Versicherten der AOK Nordost kostenfrei zur Verfügung stehen, werden zeitnah in einem Termin gebündelt intensive Untersuchungen vorgenommen.

Wer untersucht da genau was?

Dr. Marnitz: Zunächst benötigt der prüfende Facharzt alle Unterlagen des Patienten und nimmt nochmals eine Anamnese vor. Gemeinsam mit dem Expertenteam von Physiotherapeuten und Schmerz-Psychotherapeuten wägen alle Beteiligten ab, welche Behandlung am besten geeignet ist. Bei unseren Rückenzentren in Berlin führte es dazu, dass sich anstatt für eine OP eine Vielzahl der Untersuchten für eine konservative Behandlung entschieden – mit nachhaltigem Erfolg.

Bieten Sie auch weitere Hilfen für chronische Schmerzpatienten an?

Dr. Marnitz: Neben einer Sport-Therapie können wir im Bedarfsfall ambulante Hilfe durch eine Injektion mit entzündungshemmenden Medikamenten in der Schmerzregion geben, wir Ärzte nennen es PRT-Verfahren. Die Methode ist insbesondere für Rückenschmerzen mit Nervenkompression geeignet, Laien sprechen diesbezüglich hier auch gerne von einem Bandscheibenvorfall.

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