Datencockpits schaffen ein größeres Vertrauen in die Datenflüsse

Der Wissenschaftliche Beirat berät die AOK Nordost bei der Digitalen Transformation. Hier bei einer früheren Sitzung. Foto: AOK Nordost

Wie gut die Corona-Schutzmaßnahmen wirken, das bleibt mangels verfügbarer Daten unklar. Die Bundesregierung muss handeln – und rasch mehr Datennutzung im Gesundheitswesen ermöglichen, fordert Prof. Dirk Heckmann im Interview.

Herr Professor Heckmann, der Wissenschaftliche Beirat für digitale Transformation der AOK Nordost fordert die Bundesregierung in seinem aktuellen Impulspapier auf, so schnell wie möglich das geplante Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz auf den Weg zu bringen. So mancher befürchtet, mehr Gesundheitsdaten zu nutzen, würde zum „gläsernen Patienten“ führen, zum Verlust der Privatsphäre. Warum greifen denn diese Sorgen und Bedenken aus Sicht des Wissenschaftlichen Beirats zu kurz?

Prof. Dirk Heckmann ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Beirats für digitale Transformation der AOK Nordost. Er lehrt an der TU München Recht und Sicherheit der Digitalisierung und ist Direktor des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation. Foto: Kilian Blees / bidt

Prof. Heckmann: Tatsächlich werden seit Jahren immer wieder Bedenken geäußert, Gesundheitsdaten, die ja sehr sensible Daten sind, in einem größeren Umfang zu nutzen. Immer wieder wird auch der Datenschutz ins Spiel gebracht. Diese Bedenken können jedoch ausgeräumt werden. Natürlich geht es in erster Linie um Patienten-Souveränität und um informationelle Selbstbestimmung. Die kann aber gewährleistet werden, beispielsweise auch durch die Einführung sogenannter Patienten-Datencockpits. Datencockpits werden von der Bundesregierung ja favorisiert im Verwaltungsbereich, wo Bürgerinnen und Bürger sehen sollen, wer auf ihre Daten beispielsweise im Rahmen des eGovernment zugreift. Warum sollte man das nicht auch im Gesundheitswesen nutzbar machen? Das heißt, dass man den Patientinnen und Patienten ein Datencockpit zur Verfügung stellt, in dem sie genau sehen können, wer wann auf welche Gesundheitsdaten zugegriffen hat und welcher Grund dafür angegeben wurde. Auf die Art und Weise habe ich ein größeres Vertrauen in die Datenflüsse, kann das auch ein stückweit beherrschen und auch dagegen steuern. Und das würde viele Bedenken dann abschwächen oder sogar ganz ausräumen. Mit solchen Technologien können wir endlich dazu kommen, was wir schon lange brauchen, nämlich eine umfassende Nutzung von Gesundheitsdaten.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat bislang noch keinen Zeitplan für das Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz genannt. Jetzt gibt es auch gesetzgeberische Pläne auf EU-Ebene. Warum hat ein nationales Gesetz nicht Zeit, bis die EU ihre gesetzgeberischen Pläne vorgestellt hat?

Prof. Heckmann: Es ist sehr beliebt, auf die Europäische Union zu zeigen und zu sagen: Dort müssen ja die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden. Dies ist in diesem Fall aber fatal, weil die Mechanismen in der Europäischen Union ihre Zeit brauchen. Wir haben es ja gemerkt bei der Datenschutzgrundverordnung. Die hat viele, viele Jahre gebraucht, bis sie dann endlich einmal verabschiedet war. Und darum können wir nicht warten. Selbstverständlich brauchen wir den europäischen Gesundheitsdaten-Raum. Aber man sollte hier parallel verfahren, das heißt den europäischen Datenraum so schnell wie möglich aufbauen, auch den Beitrag Deutschlands dazu liefern. Aber parallel dazu sollte man bereits auf nationaler Ebene vorgehen, um einerseits Impulse zu setzen für die europäische Gesetzgebung, aber auch, um die Spielräume für die nationale Ausgestaltung zu nutzen. Wenn wir das jetzt proaktiv angehen, können wir die Gesundheitsdaten-Nutzung in einem wirklich umfassenden Sinne ermöglichen. Es ist dabei gut möglich, beim deutschen Gesetz auch die künftigen Standards in Europa mit zu berücksichtigen.

Wenn die Bundesregierung dem Appell des Impulspapiers folgt und jetzt richtig Gas gibt, wann kann das Gesetz dann frühestens verabschiedet werden?

Prof. Heckmann: Es ist in der Tat immer eine Frage des politischen Willens. Sie haben es ja gesehen bei anderen Gesetzen, jetzt rund um die Pandemie, im Infektionsschutzgesetz beispielsweise, oder auch, was den Krieg betrifft mit den ganzen Hilfspaketen. Es kann sehr, sehr schnell gehen, wenn man es denn will. Das heißt also, es wäre ohne weiteres möglich, im Herbst ein entsprechendes Gesetz zu präsentieren. Wir haben ja demnächst erst mal die parlamentarische Sommerpause. Da muss man realistisch sein, da wird erst mal nicht viel geschehen. Aber wenn man jetzt über den Sommer hinweg die große Bedeutung der Gesundheitsdaten-Nutzung sieht, auf welche neuen Wellen wir zusteuern, wie hier die Pandemie sich möglicherweise auch noch mal dramatisch entwickelt, dann wird hoffentlich die Erkenntnis auch reifen, dass wir in diesem Fall schneller als üblich vorgehen müssen. Und dann ist es zumindest nach den parlamentarischen Gepflogenheiten überhaupt kein Problem, im Herbst, also auf jeden Fall in diesem Jahr noch dieses Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz zu verabschieden.

Gesundheitsdatengesetz: Bedenken lösungsorientiert ausräumen

Angesichts der wieder aufgeflammten Corona-Pandemie fordern namhafte Digitalisierungsexpertinnen und -experten die Bundesregierung auf, das geplante Gesetz zur besseren Gesundheitsdatennutzung schnellstmöglich auf den Weg zu bringen. Die Bedenken gegen das Gesetz könne man ausräumen, indem die Versicherten mehr Transparenz darüber erhielten, wie ihre Daten genutzt werden – mit einem Datencockpit für das Gesundheitswesen. In seinem Impulspapier „Gesundheitsdatennutzung – jetzt!“ legt der Wissenschaftliche Beirat für Digitale Transformation der AOK Nordost dar, warum die Bundesregierung Tempo machen müsse beim geplanten Gesundheitsdatennutzungsgesetz.

„Gesundheitsdaten können Leben retten. Das hat die Pandemie deutlich gezeigt. Sie nicht in dem erforderlichen Umfang zu nutzen, verletzt die staatliche Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit. Das geplante Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz sollte so schnell wie möglich verabschiedet werden. Es darf sich aber nicht auf Forschungsdaten beschränken, sondern soll die Datennutzung durch alle Akteure im Gesundheitswesen ermöglichen“, sagt Prof. Dirk Heckmann. Er ist Geschäftsführer des Expertengremiums und berät die Bundesregierung auch in anderen Funktionen zu Fragen der digitalen Transformation.

Die Zeit drängt

Das Bundesministerium für Gesundheit hört derzeit Interessenvertreter zum geplanten Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz an, hat aber noch keinen Zeitplan für die Umsetzung bekannt gegeben. „Angesichts der drohenden Coronawelle im Herbst wäre es angebracht, in diesem Fall schneller als üblich vorzugehen. Es wäre ohne weiteres möglich, im Herbst ein entsprechendes Gesetz zu präsentieren“, sagt Heckmann. Auch der Corona-Sachverständigenrat der Bundesregierung hatte in seinem kürzlich vorgestellten Gutachten die schlechte Datenlage bemängelt, die es erschwere, die Wirksamkeit der Corona-Schutzmaßnahmen zu bewerten.

Ein dynamisch lernendes Gesundheitssystem

Im Impulspapier führt der Beirat aus, dass Gesundheitsdaten eine unverzichtbare Grundlage seien für ein funktionierendes Gesundheitssystem, für zutreffende Diagnosen, zielführende Therapien und insbesondere für die medizinische Forschung. Eine erweiterte Nutzung von Gesundheitsdaten könne ein dynamisch lernendes Gesundheitssystem oder ein Echtzeitgesundheitssystem ermöglichen – und dazu beitragen, die Corona-Pandemie effektiver zu überwachen und zu bekämpfen.

Die Bedenken und Sorgen, die gegenüber einer verstärkten Gesundheitsdatennutzung geäußert würden, griffen zu kurz. Die Vorteile seien herausragend und würden die etwaigen Risiken deutlich überwiegen.

Vertrauen stärken mit Datencockpit

Um diese Bedenken auszuräumen, sollte das Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz Regelungen aufnehmen, die das Vertrauen der Akteure in das digitale Gesundheitswesen stärken, so der Beirat. In diesen Regelungen sollten strenge Datenzugriffskonzepte verankert werden, die die Intimsphäre und die Persönlichkeitsrechte der Versicherten wahren.

Insgesamt müssten die Datenflüsse verständlich erklärt und vielfach auch in die Hände der Betroffenen gelegt werden. Das könnte mittels eines Datencockpits geschehen, welches die Daten-Strategie der Bundesregierung in der Verwaltung ins Spiel gebracht hat. Mit Hilfe eines Datencockpits für das Gesundheitswesen könnten alle Versicherten auf einen Blick nachvollziehen, wo ihre Daten gespeichert sind und welche Institution wann und in welchem Kontext auf die Gesundheitsdaten zugegriffen haben.

„Dadurch habe ich ein größeres Vertrauen in die Datenflüsse und kann sie ein Stück weit auch beherrschen. Das würde viele Bedenken abschwächen oder sogar ganz ausräumen. Mit solchen Technologien können wir endlich zu dem kommen, was wir schon lange brauchen: eine umfassende Nutzung von Gesundheitsdaten“, fasst Prof. Dirk Heckmann zusammen.

Der im November 2016 gegründete Wissenschaftliche Beirat für Digitale Transformation der AOK Nordost berät die Gesundheitskasse kritisch und unabhängig bei Fragen der digitalen Transformationen im Gesundheitswesen. Mehrere Mitglieder des Beirats beraten in anderen Funktionen auch die Bundesregierung zu diesen Fragen. Mitglieder des Beirats sind:
Prof. Dr. Dirk Heckmann (Geschäftsführer)
Dipl.-Pol. Inga Bergen (Sprecherin)
Prof. Dr. Wilfried Bernhardt
Prof. Dr. Dr. Walter Blocher
Prof. Dr. Stefan Heinemann
Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Jähnichen
Prof. Dr. Anne Paschke
Dipl.-Psych. Marina Weisband

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