„Qualitätsvorgaben können Leben retten“

Das Talkformat AOK Forum live fand komplett digital statt. Foto: AOK Nordost

Können Qualitätsvorgaben Leben retten? Über diese Frage diskutierten am 23. März Vertreterinnen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens bei dem digitalen Talkformat „AOK Forum live“ der AOK Nordost. Unter dem Titel „Mehr Patientensicherheit durch Mindestmengen“ forderten die Gesundheits-Expertinnen die Landesregierungen im Nordosten dazu auf, Mindestmengen-Vorgabe für komplexe Operationen in Krankenhäuser konsequent umzusetzen – auch wenn das bedeutet, dass kleinere Krankenhäuser bestimmte Leistungen nicht mehr anbieten können Damit einhergehende Strukturveränderungen müssten zudem aktiv gesteuert werden, denn eine Zentralisierung der hochkomplexen Operationen sichere die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten – egal, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen. 

Zentralisierung bündelt Behandlungsexpertisen – und steigert die Qualität 

Daniela Teichert, Vorstandvorsitzende der AOK Nordost, forderte eine stärkere Einbeziehung der Krankenkassen in die Krankenhausplanungs-Prozesse der Länder, wenn es um Zentralisierungsprozesse bei hoch spezialisierten Behandlungen in Folge höherer Mindestmengen geht: „Wir setzen uns überall dort für Mindestmengen ein, wo es eine gesicherte Studienlage gibt, dass sie die Behandlungsqualität verbessern. Wir sind der Meinung, dass unsere Versicherten nicht in das nächste Krankenhaus fahren sollten, sondern in das nächste, dass eine hochwertige Behandlungsqualität bietet.“  

Die Konzentrierungsprozesse müssten, so Teichert weiter, gut begleitet werden. Dafür hat der Bund Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Bis zum Jahr 2022 könnte allein Brandenburg auf 120 Millionen Euro Fördermittelaus einem Strukturfond zurückgreifen, um Krankenhäuser bei etwa baulichen Veränderungen zu unterstützen.  

Studie bestätigt: Höhe Mindestmengen können Frühchen-Leben retten 

Eine Studie des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIQ) hatte im vergangenen Jahr belegt, dass bei einer Mindestmenge von 50 bis 60 Fällen pro Jahr bis zu 40 Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm weniger sterben würden als derzeit. Die stellvertretende IQTIQ-Leiterin Dr. Regina Klakow-Franck erläuterte: „Die Studie hat für Deutschland die Ergebnisse internationaler Studien bestätigt: Je mehr Frühchen in einem Perinatalzentrum versorgt werden, desto besser ist im Schnitt das Behandlungsergebnis. Die Schwierigkeit ist, einen sogenannten Cut-Off-Point festzulegen, ab dem man sagt, ab dieser Menge dürfen Zentren die Behandlung nicht mehr durchführen.“  Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte diese Studie in Auftrag gegeben und aufgrund der Ergebnisse die Mindestmengen für die Versorgung von Frühchen im vergangenen Dezember von 14 auf 25 erhöht. Diese Mindestmenge stelle einen Kompromiss zwischen verbesserter Behandlungsqualität und dem Verbleib von Perinatalzentren dar. 

Dr. Jouleen Gruhn, für Krankenhäuser zuständige Referatsleiterin im Brandenburger Gesundheitsministerium, sagte, auch das Ministerium wolle eine hochwertige Medizin – aber es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die bestehenden Brandenburger Perinatalzentren, die die neue Mindestmenge unterschritten, keine hochwertige Versorgung anböten. Daher setze sich das Ministerium dafür ein, dass die Zentren erhalten blieben. Sie wies zudem darauf hin, dass Kliniken, deren Status Level 1-Perinatalzentren auf zwei heruntergestuft werden würde, Problem hätten, Personal zu halten oder neues Personal anzuwerben. Dem entgegnete Dr. Regina Klakow-Franck, dass es nicht sein könne, dass die Attraktivität einer Klinik für ärztliches Personal davon abhinge, weiterhin komplexe Frühchen behandeln zu dürfen.  

Qualität muss an erster Stelle stehen 

Die Qualität muss an erster Stelle stehen

Sabine Leitner, Bundesverband „Das frühgeborene Kind“

Die Patientenvertreterin Sabine Leitner ist selbst Mutter eines Kindes, das als Frühchen zur Welt kam. Für den Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ hatte sie sich für die Anhebung der Frühchen-Mindestmenge auf 30 eingesetzt: „Diese Frühchen sind besonders unreif und verletzlich, deshalb ist es für uns als Eltern wichtig, dass diese Kinder in Zentren geboren werden, die wirklich routiniert sind.“ Nur zehn Prozent der zu früh geborenen Kinder sind so leicht, dass sie in einem Perinatalzentrum Level 1 betreut werden müssen. In Zentren, die nur etwas mehr als einen Fall pro Monat betreuten, fehle den behandelnden Ärztinnen und Ärzten oft die Routine, wenn es zu seltenen Komplikationen komme. Auch die Pflegekräfte müssten ein wahnsinniges Geschick haben, die Eltern, die sich nach der Geburt in einer Krisensituation befänden, in Kontakt mit dem Kind zu bringen. Auch im Trauerfall sei eine solche hochwertige psychosoziale Betreuung immens wichtig. Sie erfordere strukturelle Voraussetzungen, die kleine Perinatalzentren nur schwer leisten können. „Wir müssen dafür zuständig sein, die Qualität an die erste Stelle zu stellen.“ Die nun getroffene Entscheidung über die Erhöhung der Mindestmenge biete zudem einen großzügigen Übergangszeitraum bis 2024 an, um die Umstrukturierung der Frühchenversorgung aktiv zu gestalten. Diese Zeit gelte es nun zu nutzen. 

Und Daniela Teichert brachte es zum Abschluss der Veranstaltung auf den Punkt: „Qualitätsvorgaben können Leben retten, wenn wir den Mut haben, die eindeutige Studienlage, die es zu Mindestmengen gibt, auch den Patientinnen und Patienten zugutekommen zu lassen.“ 

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