Bisher gilt: Wer seine Organe spenden will, muss sich aktiv dafür entscheiden. Der Bundesrat will dieses Grundprinzip umkehren: Jeder soll grundsätzlich Organspenderin oder Organspender sein – es sei denn, er oder sie widerspricht. Inga Bergen erläutert, warum Organ- und auch Datenspenden ein Akt der Solidarität sind – und wie Widerspruchslösungen ausgestaltet werden sollten.
Inga Bergen, der Bundesrat sprach sich Anfang Juli dafür aus, die Entscheidungslösung bei der Organspende durch eine „Widerspruchslösung“ zu ersetzen. Der Wissenschaftlichen Beirat der AOK Nordost hat sich anlässlich dieser Diskussion in einem neuen Positionspapier mit dem Thema der Datenspenden auseinandergesetzt. Die Überschrift lautet „Solidarität durch Datenbereitstellung“. Wie ist das gemeint?
Wenn der Entwurf des Bundesrates wirklich Gesetz werden sollte, würde das bedeuten, dass Menschen gezwungen werden, sich aktiv mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Denn mit einer solchen neuen Regelung würde jede Person grundsätzlich als Organspendende herangezogen werden – es sei denn, er oder sie widerspricht. Der Widerspruch kann über das Organspende-Register erfolgen, dort kann man online seinen Widerspruch hinterlegen. Aus Sicht des Beirats muss es auch andere Lösungen geben für Menschen, denen diese Online-Lösung nicht zugänglich ist.
Es gäbe mit der Widerspruchslösung also keinen Zwang zur Organspende, aber es gäbe einen Zwang, sich als individuelle Person mit diesem Thema auseinander zu setzen. Der Beirat selbst möchte keine Empfehlung für die Widerspruchslösung bei der Organspende abgeben. Grundsätzlich aber halten wir diesen „Zwang zum Klick“ bei Datenspenden für etwas, was als Akt der Solidarität durchaus von jedem Einzelnen eingefordert werden kann. Denn es geht darum, wie wir eine gute Versorgung für alle sicherstellen können, in der Zukunft.
Wer ist eigentlich…. Inga Bergen?
Inga Bergen hat zwei Digital Health-Unternehmen als Geschäftsführerin aufgebaut. Heute berät sie Unternehmen, lehrt Innovationsmethoden, moderiert Veranstaltungen, ist Podcasterin – und Sprecherin des Wissenschaftlichen Beirats für Digitale Transformation der AOK Nordost.
Eine solche Widerspruchslösung hat der Gesetzgeber bereits bei der elektronischen Patientenakte (ePA) eingeführt. Jede und jeder Versicherte soll im kommenden Jahr die ePA bekommen – es sei denn, er oder sie widerspricht. Zukünftig soll das Gleiche auch für Gesundheitsdaten für die Forschung gelten. Welcher Grundgedanke liegt diesen neuen Widerspruchs-Regelungen zugrunde?
Die moderne Medizin wird immer personalisierter. Wir werden immer mehr Daten brauchen, um überhaupt Zugang zu dieser modernen Medizin bekommen zu können. Konkretes Beispiel: Krebs zu heilen ohne Zugang zu Daten ist utopisch. Das wird nicht passieren. Das ist ganz wichtig zu verstehen und wir müssen die Bevölkerung da mitnehmen und die Vorteile tatsächlich kommunizieren. Wir haben in Deutschland einen absoluten Fokus im Diskurs auf Datenschutz. Zukünftig muss sich dieser Diskurs verlagern auf Datensicherheit, also Angriffe von Hackern, die versuchen, Daten zu generieren, um Menschen zu erpressen. Darauf muss sich der Diskurs fokussieren.
Manche Menschen beschäftigen sich nicht gern mit der Frage, was nach ihrem Tod mit ihren Organen passieren soll – und wollen dazu vielleicht keine Erklärung abgeben. Oder ob sie eine elektronische Patientenakte nun haben wollen oder nicht. Sie, Inga Bergen, sagen: Es gibt keinen Grundrechtsschutz dafür, sich bequem herauszuhalten. Warum eigentlich nicht?
Weil es wichtig ist, sich mit Themen zu beschäftigen, die die eigene Gesundheit und die Solidargemeinschaft betreffen. Viele Menschen in Deutschland warten jahrelang auf ein Spender-Organ. Im Beirat gibt es dazu unterschiedliche Positionen. Aber meiner Meinung nach ist es zumutbar, wenn ich mich einmal entscheiden muss, ob ich meine Organe spenden möchte oder nicht. Auch mit der Frage „wie wollen wir sterben?“ sollten wir uns irgendwann einmal auseinandersetzen – hier denke ich insbesondere an die Patientenverfügung.
Das sind alles Themen, über die wir einen Diskurs brauchen in der Gesellschaft, denn die Themen betreffen uns alle. Wir alle sterben. So einfach ist das. Und es ist besser, sich damit auseinanderzusetzen, wie wir sterben wollen und was mit uns passiert, wenn wir tot sind, bevor es andere für uns machen.
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