Krankenhausreform, Digitalisierung, die Sicherung der Versorgung im ländlichen Raum – das sind die drängenden Themen des Gesundheitswesens. Beim Polittalk AOK-Forum live diskutierten am Dienstag die Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien unter dem Titel „Brandenburg hat die Wahl: Für eine gerechte Gesundheitsversorgung mit Zukunft!“ über die Herausforderungen und Chancen des Gesundheitswesens in Brandenburg.
Im Alten Rathaus in Potsdam, in Blickweite zum Brandenburger Landtag, eröffnete Prof. Dr. Stefan Heinemann, Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule in Essen und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der AOK Nordost, in einer Keynote eine etwas andere Perspektive auf das Thema Gesundheitsversorgung. „Unsere Mortalität liegt bei 100 Prozent. Wir sind alle sterblich. Deswegen wird jeder von uns ein Thema mit Gesundheit haben“, leitete der Theologe halb im Scherz ein. Eine faire und gerechte Gesundheitsversorgung lese sich zwar auf dem Papier gut, aber den steigenden Bedarfen stünden gleichbleibende oder sogar schwindende Ressourcen gegenüber. Die Komplexität des deutschen Systems sei nur mit neuen Strukturen zu bewerkstelligen – „Digitalisierung wäre ein Weg“, so Heinemann. Kassen sollten dabei zukünftig eher als „Health Data Trust Hubs“ verstanden werden, in der Künstliche Intelligenz temperiert eingesetzt eine gute Sache sei. „Mehr Prävention, faire Strukturen, starke Kassen und keine Sektorengrenzen“, fasste Stefan Heinemann seine Vorstellung einer guten Gesundheitsversorgung zusammen. Die Veränderungen seien aber jetzt zwingend notwendig – denn in 20 Jahren sei es zu spät.
Gerechte Gesundheitsversorgung – konkrete Zukunftschance oder bloße Utopie?
Als „Jahrhundertchance“ bezeichnet Prof. Dr. Stefan Heinemann die Entwicklungen im Gesundheitswesen hin zu einer wirklich gerechten Gesundheitsgesellschaft. Im Interview spricht der KI-Experte und Theologe sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Digitale Transformation der AOK Nordost über Gerechtigkeit im Gesundheitswesen. Der Wissenschaftler erklärt, warum wirtschaftlich und gerecht zusammen gehen kann, warum KI wichtiger wird und warum jede Veränderung die Menschen mitnehmen muss.
Wie wollen die Menschen in Brandenburg versorgt werden?
In der anschließenden Podiumsdiskussion herrschte Einigkeit, was die größten Herausforderungen des Gesundheitssystems betrifft – und wie verflochten diese miteinander sind. Durch den gesamten Abend zog sich die Frage: Wie wollen und müssen die Brandenburgerinnen und Brandenburger versorgt werden? Dabei spielten die Krankenhausreform, die Frage, wie die Versorgung im ländlichen Raum zu organisieren ist und wie Digitalisierung ein Hebel dabei sein kann, die zentrale Rolle. Für Carla Kniestedt, gesundheitspolitische Sprecherin vom BÜNDNIS 90/Grünen, sei es jedoch auch wichtig, „schnell von Gesundheitsregionen zu sprechen und nicht nur von den Krankenhäusern.“ Dabei sei es auch zwingend notwendig, dass Häuser in einer Region ganz unabhängig vom Träger miteinander kooperieren.
Die Verantwortung der Politik sieht Daniel Keller, Fraktionsvorsitzender und gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, vor allem darin, den Menschen die Veränderungen zu erklären. Carla Kniestedt ergänzte: „Die Menschen im ländlichen Raum müssen wissen, was im Falle des Falles passiert. Wie brauchen das Vertrauen der Leute, dass sie gut versorgt sind.“ Kritik am aktuellen Geschehen kam dabei von Ronny Kretzschmar von der Fraktion Die LINKE und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz: „Momentan sehe ich hier keinen strukturierten Prozess, sondern einen Wettlauf, wer überlebt. Was die Bevölkerung jetzt erlebt, ist, dass sie den Entscheidungen ausgesetzt werden und keine Diskussion erkennen können, ob es sinnvoll ist einen Krankenhausstandort zu schließen oder nicht. Das führt zu Frust.“
Eine rechtliche Grundlage für die sektorenunabhängige Versorgung zu schaffen, wie sie auch von der AOK-Gemeinschaft gefordert wird, sieht Daniel Keller als „längst überfällig“ an. Ferner äußert er sich besorgt über die Zukunft der GKV-Finanzen. Den geplanten Transformationsfond, der zu Hälfte von den Kassen getragen werden soll, sehe er sehr kritisch. „Man hat sich bereits in den vergangenen Jahren an den Rücklagen der Kassen bedient, Das finde ich ein Stück weit unvertretbar“, so Keller.
Der Pakt für Pflege muss verstetigt werden
Aber nicht nur die Versorgung im Akut- oder Notfall – oder wie Daniel Keller zu bedenken gab „Es ist nicht vertretbar, dass ein Schlaganfallpatient auf dem Land anders behandelt wird, als in der Stadt.“ – sondern auch das Thema Pflege werde in Zukunft immer wichtiger werden. Die Diskutierenden waren sich einig: Wichtig sei, den Pakt für Pflege weiter zu verstetigen, „Pflege ist eine genauso eine kommunale Aufgabe“, sagte Daniel Keller. Und Prof. Dr. Michael von Schierack, Sprecher für Wissenschaft, Forschung und Gesundheit in der CDU-Fraktion ergänzte: „Wir müssen die steigenden Kosten für die Pflege in den Blick nehmen und uns fragen: Was kann das Land leisten? Und was der Bund?“
Die Wichtigkeit der Digitalisierung, insbesondere mit Blick auf die Versorgung im ländlichen Raum, wurde dabei ebenso konsensual diskutiert, wie die Schaffung einer Universitätsmedizin in Cottbus, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken.
Persönliche Bilanz und Aufruf zu mehr Prävention
Anschließend zog Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher eine persönliche Bilanz der vergangenen Jahre. „Die gesamte Legislaturperiode war von großen Krisen geprägt. In der Pandemie haben wir eine riesige Impfkampagne umgesetzt, die Afrikanische Schweinepest, der Krieg in der Ukraine, durch den mehr als 60.000 Geflüchtete nach Brandenburg kamen – wir haben die ganze Zeit Krisen abgefedert und Rettungspakete geschnürt“, so Nonnemacher. Deswegen sei sie in gewisser Weise frustriert und verärgert, dass es eine so große Unzufriedenheit gebe, obwohl so viel geleistet worden ist. „Es ist schwer, auf reine Panikmache mit Politik zu reagieren.“ Bei der Krankenhausreform sehe sie es als zentral an, dass die Länder diese gut begleiten und gut umsetzen. Große Sorgen mache ihr allerdings die Rückständigkeit in der Prävention. „Das ist alles keine Raketenwissenschaft. Die fünf wichtigsten Punkte zum Schutz vor koronaren Herzerkrankungen sind sehr einfach umzusetzen, aber wir fallen bei der Lebenserwartung schon jetzt zurück. Daran muss sich ganz dringend etwas ändern, sonst können wir die Versorgung irgendwann nicht mehr bewerkstelligen“, sagte die ehemalige Notfallmedizinerin Ursula Nonnemacher.
Eine echt integrierte Versorgung muss das Ziel sein
Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, forderte in ihrem Schlusswort neue Antworten auf die Fragen, die das Gesundheitssystem beschäftigen. Jedoch sei ihrer Meinung nach nicht die Krankenhausreform die Lösung, sondern es sei notwendig die gesamte Gesundheitsversorgung integriert zu denken. Wichtig sei es dabei, die vorhandenen Daten zu nutzen. „Wir müssen endlich die Daten für eine Bedarfsplanung nutzen“, sagte Daniela Teichert und zog damit den Bogen zur Keynote von Prof. Dr. Stefan Heinemann. Die Digitalisierung habe für sie die große Chance, die Versorgung der Zukunft mit weniger Ressourcen zu sichern. Künstliche Intelligenz spiele dabei eine Rolle. „Das kann eine echte Chance für eine individualisierte Medizin sein.“
Im September wählt Brandenburg den neuen Landtag. Gesundheitspolitisch gibt es großen Handlungsbedarf. >> Die ausführlichen Positionen der AOK Nordost zur einer Gesundheitspolitik mit Zukunft in Brandenburg finden Sie hier.
Fotos: AOK Nordost / Christian Marschler