Innovation sucht Internet

Ein Startup will die Telemedizin aufmischen: Im bundesweit einmaligen Pilotprojekt, in dem Pflegeheimbewohnerinnen und –bewohner von ihren Ärztinnen und Ärzten auch digital betreut wurden, sammelte das Unternehmen nun ganz praktische Erfahrungen. MedKitDoc-CEO und Gründer Dorian Koch über Erfolge, den Innovationsstandort Deutschland – und haufenweise Funklöcher.

Herr Koch, bevor wir zu den Ergebnissen des Pilotprojekts kommen: Welches Problem löst MedKitDoc eigentlich?

Vor allem ländliche Regionen haben mit Ärztemangel und medizinischen Versorgungsengpässen zu kämpfen. Wir haben zunehmend schwierige medizinische Versorgungssituationen in Pflegeheimen. Die Anzahl der vermeidbaren Krankenhauseinweisungen aus Pflegeheimen ist hoch. Und man muss auch dazu sagen: Bis zu unserem Produkt war die klassische Telemedizin stark limitiert. Jetzt sind erstmals körperliche Untersuchungen, wie das Abhören des Herzens, weitestgehend digital möglich. Es begann damit, dass unsere Großmutter einen Hausbesuch brauchte, der Arzt konnte dies aus Zeitgründen jedoch nicht einrichten. Mein Bruder und Mitgründer ist Arzt und wollte aus der Ferne am Telefon helfen – jedoch hatte er keine Chance, ihre Lunge oder ihr Herz abzuhören, was aber entscheidend ist, um eine fundierte Diagnose zu stellen. So entstand die Idee, klassische Telemedizin weiterzuentwickeln und durch die Anbindung von Medizingeräten hausärztliche Behandlungen aus der Ferne möglich zu machen.

MedKitDoc-CEO und Gründer Dorian Koch / Foto: MedKitDoc

Welche Erfahrungen konnten Sie im Projektzeitraum sammeln?

Das Projekt wurde von allen Beteiligten sehr gut angenommen. Wir haben gesehen, dass die Telemedizin die Versorgungsqualität der Pflegeheimbewohnerinnen und –bewohnern positiv beeinflussen kann. So war zum Beispiel die Zahl der Krankenhausfälle niedriger als im Vergleichszeitraum. Wir sehen uns darin bestätigt, dass besonders in ländlicheren Gebieten mit teils langen Anfahrtswegen die gerätegestützte Telemedizin eine zukunftsweisende Lösung ist, um bestehenden Versorgungsengpässen entgegenzusteuern.

Also haben Sie erreicht, was Sie sich vorgenommen haben?

Ja und nein. Ja, weil für uns ganz am Anfang die Frage stand: Können wir eine Lösung anbieten, die hausärztliche Untersuchungen ohne Qualitätsabstriche aus der Ferne ermöglicht? Und wie kann dieses Produkt die Versorgung bereichern? Jetzt zu sehen, dass es in der Praxis funktioniert und bei denen gut ankommt, die es am Ende nutzen – das ist für uns ein sehr gutes Ergebnis.

Aber: Das kann nur der Anfang sein. Fachkräftemangel, die langen Wege auf dem Land, der demografische Wandel: Die Probleme im Gesundheitswesen hören mit dem Ende des Pilotprojekts nicht auf. Fertig sind wir also noch lange nicht.

Wie wurde MedKitDoc in der Praxis angenommen?

Klar gab es Startschwierigkeiten. Der momentane geringe Digitalisierungsgrad in der Pflege erforderte eine gewisse Eingewöhnungszeit auf Seiten der Pflegeheime und Ärztinnen und Ärzte. Das ist aber total verständlich. Wenn Neues dazu kommt, braucht man eben etwas Zeit zum Anlernen, zum Erfahrungen sammeln, zum Entwickeln von Routinen. Mit zunehmender Zeit und Übung nahm die Anzahl der Behandlungen aber stetig zu. Wir haben auch das Feedback erhalten, dass die Einarbeitung ins Produkt selbst gut klappt.

Probleme bereitete uns ein ganz anderer Aspekt: Die Internetabdeckung. Wir waren überrascht, wie schwierig es teilweise war, die für die Telemedizin notwendige Internetverbindung überhaupt erstmal herzustellen. Eine unserer Mitarbeiterinnen musste einmal aus dem Pflegeheim hinaus auf einen Berg laufen, um Handyempfang zu haben. Klar, man weiß, dass es da in Deutschland große Probleme gibt – aber konkret vor Ort zu erleben, dass medizinische Versorgung in Deutschland am Internet scheitern kann, macht dann doch sehr nachdenklich.

Abgesehen vom Internet: Was braucht es Ihrer Meinung nach, um digitale Innovationen im Gesundheitswesen – und insbesondere in der Pflege – zu etablieren?

Ich sehe da drei große Bereiche. Erstens kommt es auf die Digitalisierung der Gesamtprozesse an. Es müssen alle Prozesse in Pflegeeinrichtungen konsequent digitalisiert werden und die verschiedenen Dokumentationssysteme aller Beteiligten, also Pflegeheime, Arztpraxen, elektronische Patientenakte, müssen miteinander vernetzt werden.

Außerdem halte ich es für wichtig, die Digitalkompetenz generell zu fördern. Pflegekräfte und andere Fachkräfte im Gesundheitswesen müssen über ausreichendes Knowhow und Fähigkeiten verfügen, um digitale Technologien zu nutzen.

Und schließlich: Wir müssen dahinkommen, dass die Leistungserbringer für den Einsatz von Telemedizin honoriert werden, so, wie es die AOK Nordost jetzt mit dem Selektivvertrag vorhat. Das würde zu einer größeren Akzeptanz führen. Und je öfter die Telemedizin eingesetzt wird, desto eher wird sie zur Normalität – und desto größer wird ihr Nutzen.

Was sind die nächsten Ziele von MedKitDoc?

Zunächst arbeiten wir kontinuierlich daran, das Produkt zu verbessern. Schon während des Pilotprojekts haben wir sehr nützliche Hinweise aus dem Anwendungsalltag erhalten. Wir arbeiten außerdem daran, das Produkt direkt an die Systeme von Arztpraxen und Pflegeheimen anzubinden. Am Ende könnte eine „All-in-one-Lösung“ stehen.

Wir möchten MedKitDoc auch im ambulanten Bereich einsetzen. Nehmen Sie nur die Versorgungslücken von Patienten, die auf Grund von Immobilität nicht eigenständig den Hausarzt aufsuchen können. Hier könnte eine Alternative zum Hausbesuch geschaffen werden und zusätzlich die Versorgung von Hochrisikopatienten zuhause verbessert werden.

Konkret geht es jetzt aber darum, MedKitDoc in der Pflege mehr Leistungserbringern und Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen. Die AOK Nordost arbeitet an einem vielversprechenden Selektivvertrag, um Telemedizin flächendeckend in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu ermöglichen. Die Probleme sind da, die Lösung auch, jetzt sollte es darum gehen, beides schnellstmöglich zusammenzubringen.

Beitragsbild: MedKitDoc

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