Versorgung und Regionalität: Gesundheit ist ungleich verteilt 

Der AOK Nordost Gesundheitsatlas bietet einen tiefen Blick in die Gesundheit der Menschen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Er zeigt, dass die großen Volkskrankheiten sehr unterschiedlich regional verteilt sind. Wie Regionalität und Gesundheit zusammenhängen und das Besondere am Datenschatz des Gesundheitsatlas, das erklärt Prof. Dr. Jürgen Schweikart im Interview. 

Prof. Dr. Schweikart, Sie forschen schon sehr lange zu Regionalität und Gesundheit. Wie hängt beides miteinander zusammen? 

Wenn wir uns einfach in der Welt umsehen, auch in unserer eigenen Umgebung, werden wir feststellen: Die Dinge sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern sehr, sehr ungleichmäßig. Die Bevölkerung beispielsweise konzentriert sich in den Städten. Diese Ungleichverteilung gilt natürlich auch für die Gesundheit. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Sie leben im Zentrum einer Stadt. Dann haben Sie die Möglichkeit, innerhalb einer Viertelstunde vielleicht zehn oder mehr Ärzte aufzusuchen. Leben Sie dagegen auf dem Land, kann es sein, dass Sie dreißig Minuten oder länger mit dem Auto unterwegs sind, bis Sie Ihren Hausarzt erreichen. Das Gleiche gilt auch für Erkrankungen und Gesundheitsrisiken, sie sind ungleich im Raum verteilt. Alle diese Punkte beeinflussen die Planung für eine gute medizinische Versorgung. Das heißt, wir müssen diese Ungleichheit berücksichtigen. 

Wie würde es sich auswirken, wenn Regionalität nicht ausreichend bei der Planung von Gesundheit berücksichtigt wird? 

Das würde dazu führen, dass wir Regionen ohne adäquate und angemessene ärztliche Versorgung haben. Und das würde insbesondere den ländlichen Raum treffen. Es wäre schwierig für die Bevölkerung, hier adäquate medizinische Versorgung zu erhalten. Ich erinnere mich an eine Studie von Kollegen aus Greifswald, die schon einige Jahre zurückliegt. Es wurde untersucht, wie lange es in Mecklenburg-Vorpommern dauert, mit dem öffentlichen Nahverkehr einen Hausarzt zu erreichen. In diesem Zusammenhang wurden tatsächlich Regionen identifiziert, in denen es nicht möglich ist, mit dem öffentlichen Nahverkehr einen Hausarzt an einem Tag zu erreichen und wieder nach Hause zurückzukehren. Besonders im Nordosten Deutschlands gibt es große Herausforderungen. Wir haben hier die ländlichen Gebiete Mecklenburg-Vorpommerns und Teile Brandenburgs auf der einen Seite und den hochverdichteten Raum Berlin auf der anderen Seite. Und selbst Berlin ist ja sehr unterschiedlich in seiner inneren Struktur. Hier haben wir die zentralen Bereiche innerhalb des S-Bahn-Ringes und außerhalb haben wir strukturell ganz andere Räume. Das heißt, jede Region braucht andere Instrumente für die Versorgungsplanung. Und die lokalen Unterschiede müssen in diese Planung konzentriert und fokussiert einfließen. 

Sie beschäftigen sich insbesondere mit der Thematischen Kartographie – was genau ist das? 

Die Karte spielt bei der Aufbereitung von Daten eine große Rolle, weil sie die Daten visuell verständlich macht. Darum fällt ihr in der Kommunikation eine zentrale Bedeutung zu. Aber nicht nur das: Eine gut gestaltete Karte führt am Ende auch zu guten Entscheidungen. Ein Beispiel: Karten können Unter- und Überversorgungen im Gesundheitswesen sehr anschaulich darstellen. Und da Karten Einfluss auf Entscheidungen haben können, ist es umso wichtiger, dass sie mit Fachkenntnissen ausgearbeitet werden.  

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Gesundheitsdaten der AOK Nordost zu den großen Volkskrankheiten wie zum Beispiel Diabetes, Hypertonie oder Adipositas anschaulich und auch für den Laien verständlich darzustellen, das ist ja auch eine der zentralen Aufgaben des AOK Nordost Gesundheitsatlas. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an diesem Atlas? 

Die Qualität dieses Atlas besteht vor allem darin, dass er Daten sichtbar macht, die bis dahin unsichtbar waren. Diese Daten sind einmalig und sie sind dem Forscher in der Regel nicht zugänglich. Und dieser Schatz, dieser Datenschatz, wird hier jetzt in ein kommunikatives Medium übersetzt, das jeder versteht. Man muss dazu kein Experte sein. Der AOK Nordost Gesundheitsatlas hat sich in eine regionale Sichtweise hineinbegeben, die auch feine Unterschiede sichtbar macht. Erstaunlich ist dabei auch, dass die Daten nicht immer zufällig verteilt sind. Wir können hier je nach Krankheit immer auch regionale Strukturen erkennen. Wenn wir uns das Beispiel Hypertonie ansehen, dann erkennt man relativ schnell, dass es ein sehr interessantes, deutliches Gefälle gibt, zum Beispiel von Berlin ausgehend mit eher niedrigen Werten in der Peripherie, die nach Norden hin immer höher werden. Sie erkennen auch, dass in den ländlichen Bereichen die Hypertonie häufiger in den Diagnosen vorkommt. Und das zeigt doch sehr deutlich, dass diese kleinräumige Betrachtung auch zu neuen Erkenntnissen führt. 

Die Kleinräumigkeit ist ja auch ein besonderes Merkmal des AOK Nordost Gesundheitsatlas, in dem die Daten zum Teil bis auf die Ebene von Ortsteilen dargestellt werden. Warum ist das so wichtig? 

Je größer die ausgewerteten regionalen Einheiten sind, desto weichgespülter werden die Daten. Lokale Besonderheiten oder lokale Probleme werden nicht mehr sichtbar, sie verschwinden im arithmetischen Mittel. Und je mehr wir sozusagen in den Hintergrund treten und desto größer diese Einheiten werden, desto weniger sehen wir sie. Deshalb ist es wichtig, in diesen Raum hineinzugehen und kleine räumliche Einheiten zu verwenden. Es ist erstaunlich, wie gut wir manchmal auch einfach nur durch die Karte besondere Raumstrukturen erkennen können. Und das ist aus meiner Sicht ein Argument dafür, uns mit Daten auf der Basis möglichst kleiner Einheiten zu beschäftigen, um auch mehr die lokale Planung von Gesundheitsangeboten zu unterstützen.  

Auf 63 Milliarden Euro jährlich schätzt die Uni Hamburg die gesellschaftlichen Folgekosten allein der Adipositas in Deutschland. Der AOK Nordost Gesundheitsatlas kann helfen, Adipositas viel gezielter vorzubeugen als bislang üblich. Wie das funktioniert, erklärt Geodatenanalyst Dr. Boris Kauhl. 

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