Nach der Brustkrebs-Diagnose finden Frauen Verbündete in der Selbsthilfe 

Kati, Anka und Susi waren in ihren Vierzigern, als sie an Brustkrebs erkrankten. Sie fanden sich über Instagram und gründeten Anfang 2023 in Schwerin eine Selbsthilfegruppe, die sich vor allem an jüngere Frauen wendet. Inzwischen unterstützen Schwerins Mutmacherinnen rund 50 Frauen und einen Mann während der Therapiezeit und oft darüber hinaus. Im Interview erzählen die Gründerinnen Anka und Susi, wie Selbsthilfe nach einer Krebsdiagnose die Lebensqualität verbessern kann und wo ihre Grenzen liegen.  

Was hat euch nach der eigenen Diagnose Mut gemacht? 
Susi: Ich fand es toll, dass ich Verbündete hatte. Anka hat in der Corona-Zeit alles allein durchgemacht. Es ist einfach schön, wenn jemand da ist, der dich an die Hand nimmt. Anka hat mich zum Beispiel zu einem Arztgespräch begleitet. Du kannst das alles gar nicht aufnehmen, was dir der Arzt in dem Moment sagt. Aus dieser Erfahrung kam die Idee, dass wir gern anderen Frauen Mut machen wollen, dass wir da sind, Erfahrungen austauschen und diese Menschen untereinander verbinden. Reden hilft immer. Kati zitiert gern den Satz: Und manchmal ist darüber reden wie zaubern. 
 

Die Mutmacherinnen aus Schwerin. Foto Privat

Wie helfen die Schweriner Mutmacherinnen heute anderen Frauen?  
Anka: Wir haben die Gruppe gegründet, damit Frauen in dieser misslichen Lage sofort Kontakt aufnehmen können. Bei uns finden sie Frauen, die im Moment genau in der gleichen Situation sind oder die schon Erfahrung mit dem ganzen Ablauf haben. Im Chat können sie sofort ihre Anliegen mitteilen und fragen. Oder sie kommen zu unseren monatlichen Treffen. Wir sind da, um zu helfen und zu signalisieren: Du bist nicht allein. Da sind Frauen, die in der Nähe sind, die genau das gleiche mitgemacht haben, die dir helfen können. 
 

Was schafft Selbsthilfe, was ärztliche Versorgung und Beratung nicht leisten kann?  
Anka: Diese Diagnose reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Weil man sofort denkt: Oh Gott, muss ich sterben?! Jede steht an einem unterschiedlichen Punkt in ihrem Leben: die eine hat gerade ein Kind bekommen oder geheiratet oder einen neuen Job angefangen, ist umgezogen und auf einmal – Boom!, Wie geht man dann damit um? Das ist ein wahnsinniger Einschnitt. Das ist nicht nur die Diagnose und die Therapie. Es betrifft das ganze Leben danach.  
Susi: Ja, die ganze Zukunft, die man sich anders gewünscht und vorgestellt hat. Das alles zu sortieren, braucht Zeit und kostet Kraft, körperlich und mental. Vielen Frauen bei uns hilft dabei auch Sport und Bewegung.  Je nach Interesse verabreden sich einige in zum Walking, andere machen Cross-Fit-Gruppe oder gehen gemeinsam zum Yoga. Und wir überlegen uns sportliche Challenges, die man von zuhause mitmachen kann.  

Ihr motiviert auch zu einem gesunden Lebensstil… 
Susi: Genau und wir lernen voneinander. Vielen hilft es, auf die Ernährung zu achten. Oder anderes Beispiel: Nicht alle Frauen wussten, dass man bei einer bestimmten Chemo Hände und Füße kühlen sollte, um Polyneuropathie vorzubeugen (Taubheit, Kribbeln oder Schmerzen durch Nervenschäden; Anm. der Red.). Wir tauschen uns auch zum Thema Reha aus. Wer war wo und hat welche Erfahrungen gemacht. Ärztinnen und Ärzte geben sich sehr viel Mühe, aber sie sind eben nicht die Betroffenen. Diese Empathie, die manchmal zu kurz kommt, die finden wir hier in der Gruppe. 

Eine Gruppe profitiert immer vom Schwarmwissen der anderen. Wo liegen die Grenzen in der Selbsthilfe?  
Anka: Wir wollen und können keine Ärztinnen oder Therapeuten ersetzen. Wenn es kritisch wird, weisen wir darauf hin, dass ärztlicher Rat wichtig und entscheidend ist. Wir moderieren den Chat, wo es nötig ist. Aber glücklicherweise ist es fast ein Selbstläufer. Auf eine Frage finden sich mindestens ein, zwei Leute, die direkt antworten und helfen können. Zeitgleich müssen wir als Gründerinnen auch auf uns selbst aufpassen. Denn sich mit dem Thema zu beschäftigen, wühlt einen auch immer wieder auf. Aber ich denke mir, wenn ich die Gruppe nicht hätte, würde mich das Thema Krebs trotzdem jeden Tag begleiten. 

Wer noch nie mit einer Selbsthilfegruppe Kontakt hatte, hat vielleicht Vorbehalte, dass es zu sehr belastet, zusätzlich zum eigenen Leid das der anderen wahrzunehmen und zu teilen. Wie ist das bei euch? 
Susi: Bei uns wird fast gar nicht gejammert. Es ist eher ein Ermutigen: Probier‘ mal dies, mir hat jenes geholfen. Und dann finde ich auch toll, dass wir schöne Erlebnisse in der Gruppe teilen. Das finde ich Mut machend. Und das spürt man auch an den Reaktionen in der Gruppe.  

Das Mammographie-Screening wird ausgeweitet. Ab Juli 2024 können auch Frauen im Alter zwischen 70 und 75 Jahren alle zwei Jahre an dieser Früherkennung von Brustkrebs teilnehmen.

Fast alle der rund 50 Frauen haben die Diagnose bekommen, da waren sie jünger als 50. Wie denkt ihr darüber? Müsste sich in der Früherkennung aus eurer Perspektive etwas ändern?  
Anka: Man sollte die Frauen sensibilisieren, dass sie sich selbst beobachten und Zeichen wahrnehmen. Der Großteil unserer Frauen berichtet, dass in ihrem Leben vor der Diagnose das ein oder andere nicht richtig lief. Ich habe selbst lange Zeit gemerkt, dass ich nur noch funktioniert habe: als Mutter, als Ehefrau, als Geschäftsfrau. Ich habe mich kaputt gefühlt, müde, ausgelaugt. Durch diese Diagnose habe ich mein ganzes Leben umgekrempelt. Heute geht es mir gut. Ich hätte mir viel früher Zeit nehmen sollen für meinen Körper. Ich bin familiär vorbelastet und schon unter 50 zur Mammographie gegangen und zur Vorsorge bei der Frauenärztin. Kontrollieren, abtasten – das muss eine regelmäßige Routine werden.  
Susi: Viele gucken weg beim Thema Krebs, weil sie denken, das betrifft mich nicht. Dabei erkrankt statistisch gesehen jede achte Frau an Brustkrebs. Die meisten bemerken selbst eine Veränderung ihrer Brust. Nur wie kriege ich junge Frauen dazu, sich regelmäßig abzutasten? Ich finde, das geht nur beim Frauenarzt. Es würde helfen, wenn man einmal im Jahr von der Frauenärztin dazu befähigt wird, sich selbst abzutasten. Das wird leider auch unterschiedlich gehandhabt. 

Die Heilungsquote bei Brustkrebs liegt bei 80 Prozent. Dennoch beschäftigt die Frauen ihre Erkrankung weit über Zeit ihrer Akuttherapie hinaus. Welche Unterstützung braucht es nach der Akuttherapie, um die Lebensqualität zu verbessern?  
Anka: Ganz besonders psychologische Unterstützung. Denn mit dem Ende der Akuttherapie sind die Ängste und Sorgen nicht verschwunden.  

Was braucht es außerdem? 
Susi: Wichtig finde ich auch Unterstützung bei Langzeitnebenwirkungen: Zum Beispiel ausreichend Lymphdrainage verschrieben zu bekommen. Und mir fehlt es im Alltag oft an Zeit. Ich bin im Job manchmal wieder in der alten Rolle drin und schaffe es zum Beispiel nicht, mich jeden Tag so gesund zu ernähren, wie ich es mir wünsche.  
Anka: Den Übergang von der Genesung ins Berufsleben empfand ich als herausfordernd. Ich habe für meine Genesung länger gebraucht, als manch anderer wahrscheinlich und musste letztlich zum Arbeitsamt gehen als der Zeitraum für das Krankengeld endete.  

Nach einer Krebs-Diagnose leiden auch die nahen Angehörigen. Vor allem auch die Kinder. Welche Rolle spielt das Thema in der Gruppe?  
Anka: Die Angehörigen brauchen genauso Aufklärung und psychologischen Beistand. Meine Kinder haben es bis heute nicht verarbeitet. Sie versuchen es, in dem sie mich unterstützen. Mit einer Tochter habe ich zusammen den Muddy Angel Run absolviert. Sie hält Vorträge in der Schule, um auch in ihrem Umfeld Aufklärung zu leisten. Und doch kommen die Kinder in ihren Alltagssituationen an ihre Grenzen. Darüber tauschen wir uns auch in der Gruppe aus.  
Susi: Bei meinem Kind ist es das Gegenteil. Mein Kind hat mir nie gezeigt, wie sehr es das Thema beschäftigt. Und doch merke ich es heute noch und manchmal auch ganz überraschend. Das gilt auch für Ehepartner und die eigenen Eltern. 

Schwerins Mutmacherinnen stellen sich vor und informieren bei Instagram. Die Gruppe trifft sich jeden letzten Donnerstag eines Monats. Im Schweriner Brustzentrum am Helios Klinikum erhalten neu erkrankte Frauen einen Flyer mit Informationen.

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