Ein Herbstabend auf dem ILA-Gelände am Hauptstadtflughafen. Im Sonnenuntergang heulen Triebwerke auf, auf der Start- und Zielgeraden des Airport Night Run 2021 tummeln sich tausende Läuferinnen und Läufer. Uwe Marschler ist einer von ihnen. Der 57-Jährige streckt sich noch ein letztes Mal, 10 Kilometer liegen vor ihm. In 48 Minuten ist er diese Distanz das letzte Mal gelaufen, beim S25, ebenfalls in Berlin. Nun also der Flughafen, wieder viel Vorfreude, dann der Startschuss – Uwe Marschler startet lächelnd, er ist topfit.
Das war nicht immer so. Im Herbst 2017 sorgt eine Viruserkrankung für einen Krankenhausaufenthalt. Insgesamt drei Monate ist er außer Gefecht gesetzt. Obendrein wird in der Folge Rheuma diagnostiziert. „Da ging’s los“, erzählt er, „ich war noch nicht wieder komplett auf dem Damm, aber mir war klar: Du musst was machen, vom Rumliegen wird’s nicht besser.“
Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer
Er beginnt mit Rehasport und macht mit viel Eigeninitiative weiter. „Man denkt, man ist krank, geht zum Arzt und kommt gesund raus. Aber das ist ein Trugschluss, man muss selbst was dafür machen.“ Und Uwe Marschler macht. Packt die Laufschuhe wieder aus. „Ich dachte mir: Laufen kannst du, das probierst du wieder.“ In seiner Jugend war er Leistungssportler, „vor hundert Jahren“, scherzt er. Sogar im Skispringen war er aktiv. Doch seine Leidenschaft blieb das Joggen.
„Ich bin draußen, bin in der Natur, muss über nichts nachdenken“, erklärt er, „so kann ich abschalten.“ Also geht es wieder los. Schritt für Schritt, raus vor die Tür, Kilometer für Kilometer, rein in den Stadtwald, wenn es gut läuft, noch etwas weiter, dann die Kehre und zurück: Er fängt klein an und steigert sich schnell.
Zeit dafür findet er immer. Mindestens einmal die Woche, entweder abends nach der Arbeit oder auch am Wochenende, schon mal um sieben Uhr morgens: „Wenn ich munter bin, kann ich aufstehen und loslaufen.“ Sonntagmorgens um sieben? Laufen? „Das machen doch die meisten. Wenn Sie aufstehen, laufen sie. Du gehst ja nicht auf allen Vieren ins Bad“, sagt er lächelnd.
Fitness ist Teamwork
Ganz alleine geht es aber nie – Fitness ist Teamwork, könnte man sagen. Seine Krankenkasse – die AOK Nordost – macht vielfältige Unterstützungs- und Beratungsangebote möglich. Sein Arzt hilft ihm dabei, die Ernährung umzustellen. Bei Präventionskursen in Wittstock und Neuruppin bekommt er viele Tipps für Übungen zur Stärkung des Muskelskelettsystems. Auf einer Kur erfährt er, wie er sein Rheuma besser in den Griff bekommt. Und nicht zuletzt hat er den Support seiner Familie immer auf seiner Seite.
Die Familie ist es auch, mit der er im Frühling 2018 nach Berlin fährt, seine Tochter und ihr Freund nehmen an einer großen Laufveranstaltung teil. „Ich war nur als Zuschauer da“, erzählt Uwe Marschler, „aber ich sah das und dachte mir: Das kannst du irgendwann auch.“ Besonders die Atmosphäre habe ihn beeindruckt: „Die Trommler, die vielen Zuschauer, die an der Strecke stehen und anfeuern, die Läuferinnen und Läufer, die sich bis durchs Ziel kämpfen – ich wollte einer von ihnen sein.“
Rückschläge und Neuanfänge
Also meldet er sich zum Airport Night Run 2019 an. Erfolgreich trainiert er sich auf die Distanz von 10 Kilometern hin. Drei Wochen vor dem Lauf dann der Rückschlag: Ein Muskelfaserriss macht die Teilnahme unmöglich, an Laufen ist erstmal nicht zu denken – sechs Wochen ist er außer Gefecht. „Das war natürlich extrem schade“, erinnert er sich.
Doch wieder rappelt er sich auf. Wieder beginnt es mit ein paar Schritten und Metern, wieder steigert er sich bis auf die gewohnte Distanz. Und jetzt folgen auch die ersten Läufe, mal in Berlin, mal in seiner Heimat in Ost-Prignitz-Ruppin. Immer erreicht er das Ziel, jeder Lauf motiviert für den nächsten.
Auch für den Airport Night Run im April 2020 meldet er sich an. Das Training läuft super, aber ein paar Wochen vorher steht fest: Der Lauf wird abgesagt, die Coronapandemie bremst den Sport aus.
Das ist natürlich kein Grund für Uwe Marschler, aufzuhören. Die privaten Läufe bleiben, längst sind sie zur Routine geworden, haben ihren festen Platz in jeder Woche. Die Einschränkungen durch Corona gehen zurück, der Sport bleibt. So ist auch die Anmeldung für den Airport Night Run 2021 selbstverständlich. Und endlich ist es soweit: Das Event findet statt, er ist kerngesund.
Finale am Flughafen
Es ist mittlerweile dunkel geworden über dem Flughafen. Dröhnend starten und landen unaufhörlich Jets, der Wind weht etwas Kerosin-Geruch zur Laufstrecke, die von den Vorfeldscheinwerfern grell beleuchtet wird. Uwe Marschler zieht seine Runden, viermal zweieinhalb Kilometer.
Die Menge der Läuferinnen scheint kein Ende zunehmen, pausenlos passieren sie die Start-und Zielgerade. Junge Menschen, ältere und alte Menschen, trainierte und weniger trainierte. Zwischendurch immer mal ein Mountainbike-Fahrer, der laut ankündigt: „Achtung! Schneller Läufer!“
Alle kämpfen und wenn sie nach dem Ziel auslaufen, lächelnd, glücklich, einander zujubelnd, bekommen auch die Zuschauenden eine Vorstellung davon, wie viel Spaß das machen muss.
Schließlich biegt auch Uwe Marschler auf die Zielgerade ein. Er zieht noch einmal an, neben dem Ziel werden Rauchschwaden und Feuerbälle ausgestoßen, und als er die Ziellinie überquert, reißt er die Arme hoch: Es ist geschafft.
Nach dem Lauf ist vor dem Lauf
Im Ziel kennt er gerade nur ein Wort: „Geil!“ Strahlend läuft er über das Gelände zu den Wasserständen, zieht eine Jacke an, es ist kühl geworden. Und nach und nach kommen die Worte wieder: „Die Atmosphäre war mega. Manchmal war das Überholen schwer.“ Er leert einen Becher und nimmt den nächsten. „Nach der zweiten Runde hatte ich mich eingelaufen, merkte, dass die Form stimmt. Konnte nochmal richtig anziehen am Schluss. Und wenn die Zeit stimmt, die ich beim Einlauf gesehen habe, war es richtig gut.“
Nun wartet nur noch der Rückweg nach Hause – dort aber wieder neue Läufe. Im Stadtpark, und darüber hinaus. Unter der Woche nach der Arbeit, oder an Wochenenden in aller Früh. Und nächstes Jahr auch wieder in Berlin, da ist er sich sicher. Diese Laufgeschichte ist noch lange nicht zu Ende.
Denn Uwe Marschler läuft den Airport Night-Run in 47 Minuten, 31 Sekunden. Neue persönliche Bestzeit.