„Wir müssen die Menschen für eine Organspende mehr sensibilisieren”

Heute noch als Chipkarte, bald möglicherweise digital: Zukünftig soll es möglich sein, den Organspendeausweis in der Patientenakte zu hinterlegen. Das bietet Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, potentielle Spender oder Spenderinnen schnell zu identifizieren. Foto: Jasmin777/pixabay

Die Corona-Pandemie hat nahezu alle Lebensbereiche beeinflusst. Auch die Organspende blieb davon nicht unberührt. 2020 ging die Anzahl an Organspender zurück auf 913 – im Vergleich zu 955 im Jahr 2019. Professor Oliver Hakenberg ist Klinikdirektor der Universitätsmedizin Rostock und fordert eine erneute politische Debatte über die Widerspruchslösung aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft.

Herr Professor Hakenberg, der Deutsche Bundestag debattierte vor eineinhalb Jahren kontrovers über das Thema Organspende. Heraus kam eine eher defensive Lösung: Statt einer Widerspruchslösung, bei der sich ein jeder hätte festlegen müssen, ob er oder sie künftig zu einer Organspende bereit ist oder nicht, setzt die aktuelle Lösung auf die Freiwilligkeit. Gibt es seitdem mehr Organspenden? 

Trotz einer intensiv geführten politischen Debatte, die auch teilweise in der Gesellschaft stattfand, hat sich bei der reinen Anzahl der Organspenderinnen und –spender nur wenig getan. Die Bereitschaft zur Organentnahme blieb 2020 im Vergleich zum Vorjahr relativ konstant, während die Zahl der Menschen, die eine Organtransplantation benötigen, steigt: Mehr als 9400 Menschen in Deutschland warten derzeit auf ein Organ. Ich wünsche mir, dass eine erneute Debatte geführt wird, damit sich die schon einmal avisierte Widerspruchslösung durchsetzen kann. Nur dadurch wären alle gehalten, sich persönlich und aktiv mit der Frage der Organspende, auseinanderzusetzen. Einer Organspende zuzustimmen oder zu widersprechen, steht ihnen ja dann immer noch frei.  

Immerhin soll es ab 2022 ein neues, zentrales Organspende-Register geben – und die kommunalen Behörden arbeiten dann erstmalig mit: Wer etwa volljährig wird und einen neuen Personalausweis benötigt, soll aktiv auf einen Organspendeausweis angesprochen werden und von da ab wieder alle zehn Jahre. Ein Fortschritt? 

Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Gerade junge Menschen denken zunächst nicht an die Notwendigkeit einer Organspende und meinen oft, das sei eher ein Thema für Ältere. Im Grunde genommen geht es darum, unsere Jugendlichen möglichst früh für eine Organspende zu sensibilisieren. Schließlich sind ja auch die Organempfänger in quasi jeder Altersschicht zu finden. Ein Organspendeausweis darf übrigens schon ab dem 16. Lebensjahr getragen werden.  

Was könnte noch zum Umdenken führen? 

Man muss sich nur einmal die Realität anschauen. Auch meine Patientinnen und Patienten, die oft dringend eine Spenderniere benötigen, wundern sich, wenn sie mehrere Jahre darauf warten müssen, ein passendes Organ zu erhalten. Dann sagen sie uns: ‚Schade, dass anscheinend nur wenige Menschen bereit sind, ein Organ zu spenden‘. Gelingt eine Transplantation, sind anschließend öffentliche Veranstaltungen, bei denen Empfänger über ihre lebensrettende Spende berichten, äußerst wichtig. 

Zur Person

Oliver Hakenberg ist Professor für Urologische Onkologie und Klinikdirektor der Universitätsmedizin Rostock. Außerdem führt er das einzige Zentrum für Nierentransplantation in Mecklenburg-Vorpommern und engagiert sich auch ehrenamtlich für das Thema Organspende. Bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation ist er Fachbeirat für die Region Nordost.  

Gäbe es noch weitere mögliche Multiplikatoren? 

In der Corona-Pandemie haben wir gesehen, dass Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte beispielsweise beim Thema Impfbereitschaft eine wichtige Hilfestellung gegen mögliche Skeptiker sein können. Ich halte es für absolut sinnvoll, dass sich Mitarbeitende im Gesundheitswesen, ja auch Angestellte bei Krankenkassen, in Kliniken und in Arztpraxen noch intensiver mit dem Thema Organspende auseinandersetzen und hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Je mehr von ihnen einen Organspendeausweis tragen, umso größer wird dann der mögliche Nachahmungscharakter für die Menschen in unserer Gesellschaft. 

Sie sprechen Corona an, hat die Pandemie dazu beigetragen, eine möglicherweise steigende Bereitschaft zur Organspende zu bremsen? 

In der Tat hat Corona die Frage nach möglichen neuen Spendern zuletzt überschattet. Wenn Intensivstationen mit Corona-Patienten belegt oder sogar überfüllt sind, werden potenzielle Spender und somit für hirntot erklärte Menschen aufgrund von Kapazitätsengpässen recht schnell von den Maschinen genommen. Insofern hat die Pandemie ein von uns erhofftes starkes Wachstum an Spendern    gebremst. Ich hoffe, dass sich die Situation jetzt wieder normalisiert.  

Eignet sich denn eine an Corona genesene Person noch für eine Organspende? 

Aus medizinischer Sicht hege ich da keinerlei Zweifel. Wer nach einer überstandenen Corona-Erkrankung vollständig genesen ist, kann weiterhin Organe spenden, übrigens nicht nur der Öffentlichkeit bekannte Organe wie Niere, Leber, Lunge oder Herz. Auch die Hornhaut des Auges kann eine wichtige Spende sein.  

Und was ist mit Menschen, die mit oder an einer Corona-Infektion versterben? 

Diese sind selbstverständlich nicht mehr für eine Organspende geeignet. 

AOK Nordost bietet Online-Entscheidungshilfe

Nach einer intensiven politischen Debatte sprach sich der Gesetzgeber im Januar 2020 mit deutlicher Mehrheit für eine freiwillige Entscheidung durch Aufklärung und Beratung aus („Entscheidungslösung“) – und gegen eine „Widerspruchslösung“. Die AOK Nordost kommt ihrer gesetzlichen Verpflichtung regelmäßig nach, ihre Versicherten über das Thema Organspende zu informieren. Die Gesundheitskasse stellt mit einem Onlinetool eine Entscheidungshilfe zur Organspende und zum Organspendeausweis als Download auch als dauerhafte Informationen zur Verfügung.  

Medizin bedeutet auch immer: Forschung. Zuletzt wurde aus Dresden bekannt, dass daran gearbeitet wird, eine Niere oder auch eine Leber künstlich nachzubilden. Wann könnten künstliche Organe eine Alternative zur bisherigen Organspende werden? 

Ich freue mich natürlich als Wissenschaftler, dass in diesem Bereich geforscht wird. Menschliche Organe sind sehr komplex und damit ja auch so wertvoll. Aktuell – und wohl auch nicht mehr in diesem Jahrzehnt – kann ich mir einen adäquaten Ersatz natürlicher Organe durch künstliche Organe nicht vorstellen.  

Kommen wir noch einmal auf die Ausgangsfrage zurück. Was kann außer den bereits genannten Beispielen helfen, die Organspendebereitschaft zu erhöhen? 

Ich sehe hier besonders in der Digitalisierung des Gesundheitswesens eine Chance. Die gesetzlichen Krankenkassen haben ja seit Anfang des Jahres bereits gemeinsam mit den Arztpraxen die elektronische Patientenakte gestartet. Ab kommendem Jahr soll es möglich sein, in der entsprechenden App oder der elektronischen Gesundheitskarte auch den Organspendeausweis digital zu hinterlegen. Wird dann der Träger eines digitalen Passes bei einem Notfall eingeliefert, hätten die Ärzte im Bedarfsfall auf einen Blick eine Patientenakte sowie auch die Bereitschaft zur Organspende. Das wäre eine wichtige Unterstützung. Natürlich hilft alternativ auch weiterhin der klassische Organspendeausweis – man muss ihn halt nur bei sich führen, in der häuslichen Schublade hilft er nicht.  

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