„Angst ist unsere körpereigene Alarmanlage“

Kleine Kinder haben Angst vor der Dunkelheit oder vor dem Monster unter dem Bett. Das ist kein Grund zur Besorgnis. Doch laut einer AOK-Studie sitzt in fast jeder Grundschulklasse ein Kind, das an einer Angststörung leidet. Wieviel Angst für Kinder normal ist und was Eltern tun können, um ihren Kindern bei der Bewältigung der Ängste zu helfen, erklärt Andrea Spreenberg aus dem Versorgungsmanagement und zuständig für Kinder und Jugendliche bei der AOK Nordost.

Frau Spreenberg, Kinder hopsen fröhlich und blümchenpflückend über die Wiese, haben keine Nöte oder Sorgen in ihrem jungen Alter – das ist wohl das Klischee einer rundum glücklichen Kindheit. Zum groß werden gehören jedoch auch Unsicherheiten dazu. Aber wie viel Angst ist für Kinder „normal“?

Ängste gehören zur emotionalen Entwicklung eines Kindes dazu. Jedes Kind hat Ängste, wir kennen alterstypische Ängste wie Angst vor Dunkelheit im Kleinkindalter oder vor Naturgewalten im Vorschulschulalter. Angst ist unsere körpereigene Alarmanlage. Sie ist wichtig und sinnvoll, denn sie schützt uns vor Bedrohungen und Gefahren. Stehen wir an einem tiefen Abgrund, signalisiert uns die Angst, dass hier Gefahr lauert. Werden Ängste jedoch zu stark, schränken sie den Alltag ein und belasten Kind und Familie, dann sollte man sich Hilfe holen.

Was können Auslöser für starke Ängste bei Kindern sein?

Trennungsängste gehören zu den ersten starken Gefühlen eines Kindes. Der Eintritt in den Kindergarten wird oft zu einem tränenreichen Familienereignis, wenn sich Mama oder Papa vom Kind verabschieden. Angst ist häufig Ausdruck eines mit den geistigen Fähigkeiten gewachsenen Gefahrenbewusstseins. Solche Ängste sind meist keine Anzeichen einer Störung. Weitere Auslöser für starke Ängste können traumatische Erlebnisse, physischer Missbrauch oder bestimmte Lebensumstände sein.

Was sind die häufigsten Ängste bei Kindern zwischen drei und zwölf Jahren?

Dazu zählt die bereits erwähnte Trennungsangst, dessen Ausdrucksform sich mit dem Alter wandelt. Bei Kleinkindern ist es die Einschlafangst, beim Eintritt in den Kindergarten die eben schon erwähnte Trennungsangst. Schulkinder auf Klassenfahrten können unter starkem Heimweh leiden. Phobien treten ab dem Grundschulalter auf. Phobien gehören zu den Angststörungen. Im Gegensatz zu Angststörungen wie sozialer Angst oder Panikstörungen sind sie auf ein spezifisches angstauslösendes Objekt ausgerichtet. Typisch sind Spinnen, Schlangen oder Hundephobien. Das Gute an spezifischen Phobien ist, dass sie deutlich besser behandelt werden können als diffuse Angststörungen ohne konkrete Auslöser.
Es gibt aber auch die soziale Angst. Sie beschreibt die andauernde Angst, sich zu blamieren, von anderen verhöhnt oder verspottet zu werden. Sozial ängstliche Kinder sind sehr verlegen, erröten schnell und verhalten sich sehr zurückhaltend in Anwesenheit anderer. Im Kindergartenalter haben sie zum Beispiel Hemmungen, etwas im Morgenkreis vorzutragen, im weiteren Verlauf werden soziale Situationen, insbesondere solche mit Leistungsdruck, zunehmend gemieden, was zu einem negativen Selbstbild und zu geringem Selbstbewusstsein führen kann.

Wie sollten Eltern den Ängsten der eigenen Kinder begegnen?

So banal den Eltern die Angst auslösende Situation scheint: sie sollten die Angst ihres Kindes immer ernst nehmen. Sie zu leugnen oder gar lächerlich zu machen, hilft dem Kind nicht. Eltern können ihre Kinder stärken und ihnen viele Ängste nehmen. Sie sollten hinterfragen, was genau dem Kind Angst macht. So kann man gemeinsam versuchen, gut mit der Angst umzugehen. Je mehr Wissen die Eltern ihrem Kind über die angstauslösende Situation und die Vorgänge im eigenen Körper vermitteln, desto besser kann es seine Angst bewältigen. Bei Furcht vor Gewitter beispielsweise hilft Auf-den-Arm-Nehmen, gemeinsames Betrachten der Blitze und eine kindgerechte Erklärung. Hat ein Kind etwa Angst vor Hunden, kann man zum Beispiel gemeinsam aus der Ferne den Hund des Nachbarn beobachten, den Umgang mit Hunden und das Verhalten der Hunde besprechen und dem Hund dann in den Folgewochen immer etwas näher kommen. Ungünstig wäre es dagegen, das Vermeidungsverhalten des Kindes zu unterstützen, denn so bekommt es keine Gelegenheit, seine Angst zu überwinden – frei nach dem Motto: Der Weg aus der Angst führt durch die Angst.

Ab wann sollten sich Eltern Hilfe suchen?

Die meisten Kinder überwinden ihre Ängste bei verständnisvollem Umgang innerhalb von Wochen bis Monaten und gehen dann letztlich emotional gestärkt aus dieser Phase hervor. Generell gilt, dass Eltern immer dann aufmerksam werden sollten, wenn die Ängste einen altersunüblichen Schweregrad aufweisen.

Wie erkenne ich als Elternteil einen „altersunüblichen Schweregrad“?

Ein klassisches Beispiel wäre, wenn ein Kind sich hartnäckig und über einen längeren Zeitraum hinweg weigert, zur Schule oder zur Kita zu gehen. Sobald Ängste den Alltag erheblich einschränken, sollten Eltern das hinterfragen, ob hier vielleicht mehr dahintersteckt. Hier sollten sie dann das Gespräch mit ihrer Kinderärztin oder ihrem Kinderarzt suchen.

Die AOK startet mit dem Familiencoach „Kinderängste“ ein neues Hilfsangebot für Familien, in denen Kinder mit stärkeren Ängsten zu kämpfen haben. Um was geht es da genau?

Der Familiencoach ist von Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Köln entwickelt worden. Wie schon beschrieben, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Alltagssituationen, die für Kinder mit Angst verbunden sein können: Trennungssituationen oder im sozialen Miteinander. Im Familiencoach sollen Eltern dazu befähigt werden, dem Kind zu helfen, die Angst zu bewältigen. Dazu werden den Eltern verschiedene Methoden vermittelt, Ängste überhaupt erst zu verstehen.

Für wen ist der Familiencoach geeignet?

Insbesondere Kinder zwischen 3 und 12 Jahren sind von Ängsten betroffen. Deswegen richtet sich der Familiencoach vor allem an Eltern oder andere Angehörige von Kindern aus dieser Altersgruppe.

Ist das Programm auch sinnvoll, wenn das Kind schon in ärztlicher Behandlung ist?

Der Familiencoach ist ein Hilfsangebot für Eltern, um sie im Alltag zu unterstützen. Eltern von Kindern mit einer diagnostizierten Angststörung sollten auf jeden Fall mit der behandelnden Fachkraft absprechen, dass sie den Familiencoach nutzen möchten.

Leave a reply:

Your email address will not be published.