„Fleisch ist in vielen Familien kulturell noch sehr stark verankert“

Die AOK-Familienstudie 2022 zeigt: Vier von zehn Eltern haben eine problematische Ernährungskompetenz. Präventionsexperte Andreas Bös verrät, wie er es schafft, Schulkindern mit allen Sinnen Wissen über gesunde Ernährung zu vermitteln.

Herr Bös, die Familienstudie hat gezeigt, dass 47 Prozent der Berliner Eltern ihre Kinder fleischarm oder vegetarisch ernähren. Das ist der bundesweite Spitzenwert. In Mecklenburg-Vorpommern werden hingegen nur 21 Prozent der Kinder fleischarm oder vegetarisch ernährt. Nirgendwo sonst bekommen die Kinder so häufig Fleisch auf den Teller. Wie ist dieses enorme Gefälle zu erklären?

Fleisch ist in vielen Familien kulturell noch sehr stark verankert. Es gehört einfach zur Ernährung dazu. Sich bewusst damit auseinander zu setzen, ob und wie viel Fleisch gesund ist, ist eng mit der Ernährungskompetenz der Familien verknüpft. Und diese hängt wiederum stark am sozioökomischen Status der Familien. Wir können nur spekulieren, warum beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern verhältnismäßig so viel Fleisch auf den Tisch kommt: Vielleicht ist hier die Skepsis gegenüber des ‚Trends‘ zur vegetarischen oder veganen Ernährung größer. Vielleicht ist das Verhältnis der Menschen zu Nutztieren auf dem Land aber einfach auch noch ein anderes. Wenn Menschen in ländlichen Regionen mit Bauernhöfen in der Nähe aufwachsen, haben sie über Generationen hinweg oft gelernt, dass Tiere eben gegessen werden. Da ist der Abstand der ‚Städter‘ zu Tieren und Fleisch in der Stadt natürlich größer.

Zur Person

Andreas Bös ist gelernter Koch, GV geschulter Koch der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und arbeitet bei der AOK Nordost als Präventionsexperte mit dem Fokus gesunde Ernährung und Bewegung

Und wieviel Fleisch ist aus ihrer Sicht gesund?

Es ist wie bei vielem im Leben: Die Dosis bestimmt das Gift. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, pro Woche ein bis maximal zweimal Fleisch zu essen. Insgesamt sollten es nicht mehr als 400 bis 500 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche sein. Daran haben sich die Menschen früher auch gehalten. Da gab es den berühmten Sonntagsbraten, und unter der Woche schon aus Kostengründen meist kein Fleisch.

Erst mit dem Aufkommen der industriellen Massentierhaltung ging der Fleischkonsum steil nach oben. In den letzten fünf Jahren ist das Bewusstsein gewachsen, dass ein hoher Fleischkonsum schädlich und weniger Fleisch besser für die Gesundheit ist. Dennoch aßen die Deutschen im vergangenen Jahr immer noch rund ein Kilo Fleisch pro Woche – also  doppelt so viel wie gesund wäre.

Sie gehen selbst an Schulen und kochen gemeinsam mit Kindern, um ihnen mehr Bewusstsein für gesunde Ernährung zu vermitteln. Wie kann das gelingen?

Wichtig ist, dass man die Kinder mit Gerichten abholt, die sie kennen und mögen. Einem Kind, das noch kein Gemüse mag, wird ein Zucchini-Moussaka wahrscheinlich nicht sonderlich gut schmecken. Anders sieht die Sache aus, wenn wir Spaghetti Bolognese kochen. Nur, dass wir das Fleisch in der Bologne-Sauce durch rote Linsen ersetzen und auch ein bissen Zucchini mit hinein geben. Und wenn ein Kind kein Kohlrabi mag: Man kann den auch gut in Scheiben schneiden, panieren und braten. Wenn ich dafür ein gutes Speiseöl verwende, ist das auch gesund.

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Ernährung für Kinder?

Die Zahl übergewichtiger Kinder im Nordosten ist während der Pandemie gestiegen. Welche Effekte stecken dahinter, wie steht es insgesamt um die Ernährung von Kindern im Nordosten? Robin Avram und Andreas Bös sprechen über aktuelle Zahlen, gesunde Lebensmittel und Ernährungstrends – und darüber, was wir als Krankenkasse dafür tun, dass Kinder sich ausgewogener ernähren.

Sie sind auch einer der Erfinder des Präventionsheaters „Henrietta & Co.“, das in diesem Jahr wieder an 16 Grundschulen und Kindertheatern in Berlin, Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern gastiert. Auf welche Weise lernen die Kinder dort etwas über gesunde Ernährung?

Henrietta richtet sich an Kinder im Alter von fünf bis zehn Jahren, ihnen wollen wir spielerisch und mit viel Spaß etwas über gesunde Ernährung beibringen. Bei unserem Stück „Henrietta in Fructonia“ kommt Henrietta in die Schule, ist ungefrühstückt und müde und schläft deshalb ein. Deshalb muss sie nachsitzen. In Fructonia lernt sie dann, wie fit man sein kann, wenn man Milch trinkt. Da gibt es auch die fitten Früchte, die eine Lebensmittelpyramide bauen oder den Zauberer, der eine Banane verschwinden lässt.

Mit dem kostenlosen Unterrichtsmaterial haben die Lehrer die Möglichkeit, die Themen des Stückes in den Unterrichtsalltag einfließen zu lassen. Zudem haben wir einen eigenen YouTube-Kanal auf die Beine gestellt, um Kinder mit Bewegungsdefiziten Anregungen für mehr Sport an die Hand zu geben.

Warum engagiert sich die AOK Nordost bei diesem Thema?

Weil eine gesunde Ernährung eine wichtige Voraussetzung ist, um Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheuten vorzubeugen. Wir versuchen mit Henrietta, mit der GemüseAckerdemie und mit dem Verteilen der Bio-Brotbroxen an alle Erstklässler in Berlin und Brandenburg gewisse Impulse zu setzen, damit Kinder sich persönlich angestoßen fühlen und das Thema gesunde Ernährung mit nach Hause zu nehmen.

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