Früher Darmkrebs auf dem Vormarsch

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Eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOKs zeigt: Vor allem in der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020, aber auch in der zweiten Welle von Oktober 2020 bis Februar 2021 gab es starke Einbrüche bei den Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs für gesetzlich Versicherte. Zudem sei ein relevanter Teil der anspruchsberechtigten Menschen in den vergangenen zehn Jahren nicht von der Krebs-Früherkennung erreicht worden. Die AOK will diesem Trend mit der Informationskampagne “Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden” gegensteuern. Wir sprechen mit Dr. Maria Albota, Medizinerin bei der AOK Nordost, über das wichtige Thema Krebs-Früherkennung, das laut einer Forsa-Umfrage für viele Menschen noch ein Tabuthema ist. Im Interview erklärt die Ärztin auch, warum die AOK Nordost ihren Versicherten die Darmkrebsvorsorge noch früher anbietet, als es die gesetzliche Regelung vorschreibt.

Frau Dr. Albota, warum ist es so wichtig, zur Krebsfrüherkennung zu gehen? 

Die Krebsfrüherkennung ist ein weiterer wichtiger Schritt in der Vorsorge – neben der primären Prävention, wo es darum geht, die Erkrankung von vornherein zu vermeiden. Grundsätzlich geht man davon aus, dass schon alleine durch Verhaltensänderungen, Sport und einen möglichst gesunden Lebensstil 30 Prozent der Tumorerkrankungen vermieden werden können. Ein offensichtliches Beispiel hierfür ist der Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und Rauchen. 89 Prozent der Lungenkrebsfälle bei Männern und 83 Prozent der Lungenkrebsfälle bei Frauen lassen sich auf das Rauchen zurückführen. Aber es gibt natürlich auch noch andere Faktoren, die eine Krebserkrankung begünstigen und auf die der Einzelne wenig Einfluss hat. 

Dr. Maria Albota. Foto: privat

Die 60jährige Medizinerin und Soziologin Dr. Maria Albota ist seit dreißig Jahren im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung speziell in der Onkologie tätig. Ihr Fokus liegt dabei auf der Frage, welchen Beitrag die Krankenkassen zu diesem Thema leisten können.

Welche wären das? 

Bei Brust- und Eierstockkrebs beispielsweise, aber auch bei Prostata- oder Darmkrebs kann die genetische Veranlagung eine Rolle spielen. Aber auch Infektionen oder Umwelteinflüsse können Krebserkrankungen begünstigen. Deshalb sollten die Möglichkeiten der Krebsfrüherkennung auf jeden Fall genutzt werden. Denn für die meisten Tumorerkrankungen gilt: Je früher sie erkannt werden, umso besser sind die Behandlungs- und Heilungschancen. Nehmen wir Brustkrebs zum Beispiel.  Eine Evaluation des Mammographie-Screenings hat ergeben, dass im Screening entdeckte Karzinome kleiner und die Lymphknoten seltener befallen sind, sodass die Prognose für den weiteren Verlauf sehr gut ist. Und beim Darmkrebs kann die Früherkennung sogar den Krebs verhindern.

Wie das denn? 

Darmkrebs entsteht in den meisten Fällen aus zunächst gutartigen Wucherungen der Darmschleimhaut, den sogenannten Polypen. Diese entarten irgendwann mit hoher Wahrscheinlichkeit bösartig, wenn man sie nicht entfernt. Bei der Darmspiegelung, der Koloskopie, kann der Arzt nicht nur diese Polypen entdecken – er kann sie auch gleich entfernen. Jeder, der in irgendeiner Form ein Risiko hat, an Darmkrebs zu erkranken – aus Altersgründen, aus genetischer Veranlagung, aufgrund bestimmter Vorerkrankungen wie Diabetes – sollte deshalb unbedingt diese Möglichkeit der Früherkennung nutzen. 

Seit 2017 bietet die AOK Nordost ihren Versicherten die Früherkennung von Darmkrebs schon ab 40 an. Ist das sinnvoll?

Ganz eindeutig: ja. Schon damals haben die Fachgesellschaften der Gastroenterologen darauf hingewiesen, dass Darmkrebs zunehmend in früherem Lebensalter auftritt. Es gab die Vermutung, dass dies neben der familiären Veranlagung auch mit dem Lebensstil und vor allem mit den Ernährungsgewohnheiten zusammenhängen könnte. Eine eindeutige Verbindung konnte damals noch nicht festgestellt werden. Mittlerweile zeigen Studien, dass es neben der genetischen Veranlagung einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Essgewohnheiten, den damit oft verursachten diabetischen Stoffwechselentgleisungen und dem sogenannten Frühen Darmkrebs gibt. Die USA sind besonders betroffen davon – aufgrund des weitverbreiteten ungesunden Lebensstils spricht man dort auch von der Diabeteskrise.

Und in Deutschland?

Auch hier steigen die Zahlen des Frühen Darmkrebs, weshalb Wissenschaftler schon länger die Absenkung des Anspruchsalters für die Darmkrebsvorsorge fordern. Wir sind dieser sinnvollen Forderung als erste Krankenkasse nachgekommen und hoffen, dass es sich auch bald in der Regelversorgung wiederfindet. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat im vergangenen Jahr das anspruchsberechtigte Alter bei Männern von 55 auf 50 Jahre abgesenkt. Das reicht unseres Erachtens aber eben noch nicht aus.

Warum reicht das nicht aus?

Auch in Deutschland ist ein ungesunder Ernährungsstil mit Fast Food, Fertiggerichten, Softdrinks und Co. mittlerweile weit verbreitet. Es ist also davon auszugehen, dass die Zahlen des Frühen Darmkrebs weiter steigen werden. Am wirksamsten können wir dem mit einer Mischung aus primären Präventionsmaßnahmen – also Ernährungsumstellung, Rauchstopp, Sport etc. – und der rechtzeitigen Inanspruchnahme der Krebsfrüherkennungsmaßnahmen entgegentreten. Und erfreulicherweise bewegt sich einiges auf dem Gebiet der Krebsfrüherkennung. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat ein Nationales Krebspräventionszentrum aufgebaut. Dort wird zu neuen Ansätzen in der Prävention geforscht und dazu, welcher Voraussetzungen es bedarf, um diese effektiv in die Versorgung zu integrieren. 

Was für neue Ansätze könnten das sein? 

Da ist zum Beispiel die sogenannte risikostratifizierte Krebsfrüherkennung. ‚Risikostratifiziert‘ heißt, es werden Gruppen angesprochen, die ein höheres Risiko haben, an Krebs zu erkranken. Raucher zum Beispiel, aber eben auch Typ 2-Diabetiker. Es geht um die Frage, wie man diese Leute erreicht. Wie man sie am besten ansprechen und über ihr besonderes Risiko aufklären kann. Damit sie ein Verständnis dafür gewinnen und bereit sind, die Früherkennungsmaßnahmen durchzuführen. Bisher hat die Krebsfrüherkennung eher ein Schattendasein im medizinischen Forschungsbereich gefristet beziehungsweise der Fokus lag stärker auf der Diagnostik und Behandlung. Was Letztere betrifft: Da haben wir mittlerweile schon große Erfolge zum Wohl der Patientinnen und Patienten erzielt.

Aber nicht bei der Prävention?

Bei der Prävention sind wir an einem Punkt angelangt, wo dieses wichtige Thema eher stagniert. Diejenigen, die wir durch Ansprache oder mit anderen bewährten Instrumenten erreichen können, haben wir erreicht. Jetzt geht es darum, gezielt weiter zu forschen und Projekte aufzusetzen, mit denen wir Vorsorgemuffel und insbesondere auch Risikogruppen erreichen, an die wir bisher schlecht rankommen. Das wird die Herausforderung in den nächsten Jahren sein. 

Mit der Kampagne “Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden” will die AOK die Aufmerksamkeit für das Thema Krebs-Früherkennung erhöhen und die Menschen zur Teilnahme an den gesetzlich vorgesehenen Untersuchungen motivieren. Die Kampagne umfasst unter anderem TV-Spots und Anzeigen zum Thema Früherkennung. Wie wichtig das Thema ist, zeigt auch die Initiative “Nationale Dekade gegen den Krebs”, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019 ausgerufen hat. Ziel der Forschungsinitiative ist es, dass alle relevanten Akteure Deutschlands ihre Kräfte im Kampf gegen den Krebs bündeln, sodass künftig möglichst viele Krebsneuerkrankungen verhindert werden und Betroffene ein besseres Leben führen können. Da sich die AOK Nordost besonders auf dem Gebiet der Darmkrebsfrüherkennung engagiert, begrüßt sie ausdrücklich, dass auch der Berufsverband der Niedergelassenen Gastroenterologen Deutschlands Anfang des Jahres der “Nationalen Dekade gegen den Krebs” beigetreten ist.

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