Virenumschlagplatz Wartezimmer – 75 Prozent der Kinderkrankschreibungen für drei oder weniger Tage

Noch in der Warteschlange meiner Kinderarztpraxis versuche ich einen Blick in das fast schon volle Wartezimmer zu erhaschen. Links sitzt ein Mädchen mit Schnoddernase und bellendem Husten, rechts ein Junge mit blasser Gesichtsfarbe. Er hält eine Schüssel in der Hand. Der Teenager vor mir berichtet an der Anmeldung von Schüttelfrost und Übelkeit. Ich navigiere mein Kind in die hinterste Ecke, versuche so wenig wie möglich zu atmen und kippe das Fenster an. Mein Sohn ist verschnupft und hat leichten Husten. Zum Glück nichts Ernstes und trotzdem kann er nicht in die Kita. Dafür benötige ich eine Kinderkrankschreibung. Als Mutter macht mich das jedes Mal nervös, denn ich möchte ungern zum eigentlichen Infekt meines Sohnes noch eine Gratis-Erkrankung oben drauf mit nach Hause nehmen. Komme mit einer, gehe mit zweien. Wartezimmer sind ein regelrechter Virenumschlagplatz.

Telefonische Kinderkrankschreibung kann Praxen entlasten – und Eltern auch

Wer in diesen Tagen mit seinem Kind wegen eines Infektes zum Kinderarzt muss, braucht viel Geduld. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Akutsprechstunde bilden sich oft Warteschlangen bis in den Flur. Es ist Erkältungszeit. Die Kita bittet, erkrankte Kinder zuhause zu lassen, damit die anderen Kinder gesund bleiben und das Kita-Personal ebenfalls. Kurz vor den Feiertagen, aber auch sonst ein nachvollziehbares Bedürfnis. Wer ist schon gerne krank? Eltern von Kleinkindern, insbesondere in den ersten Kitajahren, können ein Liedchen davon singen. Zehn bis zwölf Infekte pro Jahr gelten als normal. Das Immunsystem muss sich erst entwickeln und bekommt in diesem Alter jede Menge Gelegenheit dazu.

In Wartezimmern sind die Jüngsten während der Akutsprechstunde auf kleinstem Raum. Und nicht jedes Kind mag eine Stunde am Stück still auf dem Stuhl sitzen und warten oder ein Buch vorgelesen bekommen. Also wird gespielt, die Köpfe zusammensteckt. Spielzeug getauscht und nebenbei aufs Interieur geniest. Was seit Anfang Dezember für Erwachsene gilt, soll nun auch für Kinder kommen: Die telefonische Krankschreibung soll ab dem 18. Dezember möglich sein. Meine Kinderärztin praktiziert das jetzt bereits auf Vertrauensbasis, bei Familien, die sie kennt. Dies für alle zu ermöglichen, wäre ein Dreifach-Gewinn: Für die Eltern, die Kinderarztpraxen und für die Kinder. Denn ganz ehrlich. Bei ausschließlich leichten Symptomen gehören die Kinder ins Bett oder an die frische Luft und nicht in die Artpraxis geschleppt. Dazu bedarf es natürlich auch einer gewissen Gesundheitskompetenz der Eltern. Und klar, sind Eltern unsicher, ob nicht doch eine schwere Erkrankung dahintersteckt oder es dem Kind wirklich nicht gut geht, sollte es einer Ärztin oder einem Arzt vorgestellt werden.

75 Prozent der Kinderkrankschreibung für drei oder weniger Tage

Doch nicht immer ist der Gang in die Praxis zwingend notwendig. Hat mein Kind nur eine leichte Erkältung, reichen oft ein paar Tage Ruhe und es springt wieder fröhlich und quietschfidel durch die Gegend. Eine Auswertung der genommenen Kinderkrankentage der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die Kinderkrank-Dauer bei rund 70 Prozent der Fälle bei drei oder weniger Tagen lag. Von bisher 58.503 abgerechneten Kinderkranktagen AOK Nordost-Versicherter lag der Anteil sogar bei 75 Prozent.

Viele offene Fragen brauchen klare Regelungen

Dass der Gesetzgeber zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen hiermit eine Entlastung für alle Beteiligten in Aussicht stellt, ist nach dem Schritt, eine telefonische Krankschreibung für Erwachsene zu ermöglichen, nur folgerichtig. Doch stellen sich hier noch viele offene Fragen: Was genau wird bescheinigt, wenn sich Patientinnen und Patienten nur noch telefonisch melden? Und was rechnen Ärztinnen und Ärzte ab? Das Ausstellen einer Bescheinigung, dass sich jemand bei ihnen am Telefon krankgemeldet hat? Und wie verhält es sich mit der „Gesundschreibung“, die in vielen Einrichtungen für Kinder noch gefordert wird - geht diese dann auch telefonisch? Wie hoch ist der Aufwand am Ende für die Arbeitgeber? Ließe sich dieser Umweg über die Arztpraxis nicht sogar komplett vermeiden, wenn Eltern drei Tage Kulanz bekämen und erst dann das Kind beim Arzt vorstellen müssten, so wie es in vielen Unternehmen bereits jetzt für Erwachsene gehandhabt wird? Kritiker mögen sagen, dies berge auch das Potenzial für Missbrauch und der Staat habe ja auch eine gewisse Fürsorgepflicht. Auch das müsste man strukturell in künftige Entscheidungen einbeziehen. Fakt ist: Alle Beteiligten sammeln jetzt neue Erfahrungen mit dieser Lösung. Die Zeit wird zeigen, ob die gewünschte Entlastung eintritt und welche Stellschrauben eventuell noch nachjustiert werden müssen.

Frauen stemmen in der Corona-Pandemie zu Hause den Großteil der Care-Arbeit

Die Mütter in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (MV) haben in der Corona-Pandemie rund dreimal mehr Kinderkrankentage genommen als die Väter. Der „Papa-Anteil“ an allen Kinderkrankentagen im Nordosten betrug im Jahr 2020 demnach lediglich bei fast 25 Prozent. Im Jahr 2021 übernahmen Väter in den drei Ländern zu Hause jedoch etwas häufiger Verantwortung. Sie kümmerten sich in knapp 28 Prozent aller Fälle um ihr Kind, wenn es krank war oder die Kita geschlossen. Das geht aus einer Datenanalyse der AOK Nordost hervor.

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