„Wir erzeugen Handlungsdruck bei den Krankenhäusern“

Im Gesundheitsnavigator zeigt die AOK Nordost, welche Krankenhäuser Versicherte bei bestimmten Operationen besser meiden sollten. Warum diese Transparenz dazu beiträgt, die Behandlungsqualität zu verbessern, erläutert Daniela Teichert im Interview.

Dies ist die gekürzte Version eines Interviews, das die Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, Daniela Teichert, dem Chefredakteur des Fachmagazins „Monitor Versorgungsforschung“ gegeben hat.

Sehr geehrte Frau Teichert, bei einer Podiumsdiskussion haben Sie in einem Nebensatz gesagt, dass man die Behandlungsqualität in Krankenhäusern mit Routinedaten messbar machen könne. Wie funktioniert das?

Mit der Aussage habe ich auf die Qualitätsmessung und -entwicklung hingewiesen, die die AOKen seit Jahren weit über die gesetzlichen Vorgaben und Gestaltungsmöglichkeiten hinaus verfolgen. Eine Initiative heißt Verfahren zur Qualitätssicherung mit Routinedaten – kurz QSR. Das QSR-Verfahren konzentriert sich auf Krankenhaus-Behandlungen, die häufig und vergleichsweise komplikationsträchtig sind und für deren Bewertung ausreichende Daten vorhanden sind. Patienten und einweisende Ärzte können mit Hilfe der Krankenhaussuche des im Internet verfügbaren AOK-Gesundheitsnavigators Behandlungsergebnisse recherchieren. Im Navigator sehen Sie auf einen Blick, in welchen Krankenhäusern bei bestimmten Operationen wie häufig Komplikationen vorkommen – und in welchen Krankenhäusern die Qualitätsergebnisse unterdurchschnittlich ausfallen.

Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost

Das ergibt dann die AOK-Lebensbaumsystematik, die im AOK-Gesundheitsnavigator zu sehen ist. Warum diese Form der Darstellung?

Je nach der Gesamtqualität kann ein Krankenhaus für eine bestimmte Behandlung drei Lebensbaumsymbole für überdurchschnittliche, zwei für durchschnittliche und einen Baum für unterdurchschnittliche Ergebnisse bekommen. Wir wollen unseren Versicherten eine Möglichkeit anbieten, sich über die Qualitätsergebnisse von Krankenhäusern zu ausgewählten Behandlungen im Vorfeld zu informieren. Dafür gehen wir offensiv mit den uns zur Verfügung stehenden Daten um. Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern soll unseren Versicherten ermöglichen, selbst zu entscheiden, in welchem Krankenhaus sie sich behandeln lassen wollen – und in welchem eben nicht.

Prof. Reinhard Busse von der TU Berlin hat diverse Ergebnisse von Standard-Operationen analysiert. Dabei kam heraus, dass zum Beispiel bei Gallenblasen-Operationen die schlechtesten Krankenhäuser 34-mal höhere Re-Operationsraten haben als gute. Sein Rat: Solche Krankenhäuser sollten am Eingang Transparente aufhängen müssen, auf denen steht: „Achtung, unsere risikoadjustierte Sterblichkeit ist leider x-mal so hoch wie im Schnitt in Deutschland. Überlegen Sie es sich noch einmal, ob Sie hier reinkommen.“ Ist das vorgeschlagene Vorgehen ein Weg für die AOK und ihr QSR-Verfahren?

Das ist plakativ zugespitzt – sicherlich gewollt, damit so ein wichtiges Thema auch wirklich Aufmerksamkeit bekommt. Richtig ist: Wir wollen nicht, dass unsere Versicherten in das nächste geeignete Krankenhaus fahren. Sondern in das nächste, dass für die jeweils anstehende Operation eine qualitativ gute Behandlung bietet. Die QSR-Daten bieten für die Wahl des richtigen Krankenhauses eine gute Entscheidungshilfe. Prof. Busse könnte übrigens selbst keine Plakate aufhängen – denn er wertet hier Daten aus, die er nicht auf Klinikebene zurückführen kann, weil ihm das leider nicht erlaubt ist. Es ist zu hoffen, dass unser neuer Gesundheitsminister das Datennutzungsgesetz auf den Weg bringt, in dem vorgeschrieben werden sollte, dass Transparenz nicht nur schön ist, sondern auch genutzt werden muss, um die Qualität der Versorgung weiter nach vorne zu bringen. Bis es so weit ist, werden wir unseren Weg weiter verfolgen – auch wenn unsere Lebensbaumsystematik von Kliniken mit wenigen Bäumchen sehr kritisch gesehen wird.

Wie reagieren die Krankenhäuser, die unterdurchschnittlich abschneiden?

Manche Häuser mit wenigen Lebensbäumen – am häufigsten natürlich die mit nur einem – treten aktiv an uns heran. Sie tun dies in erster Linie, um Kritik an der von uns verwandten Methode zu üben. Teilweise wird infrage gestellt ob die AOK solche Qualitätsvergleiche überhaupt durchführen sollte. Wenn wir es dann schaffen – was gar nicht so selten der Fall ist – in einen konstruktiven Dialog zu treten, verstehen die meisten Klinikmanager und die Ärzte häufig, dass sowohl das QSR-Verfahren als auch die Versichertenbefragung gute Tools für das interne Qualitätsmanagement eines jeden Krankenhauses sind. Krankenhäuser haben häufig gar keine andere Möglichkeit, sich mit dem lokalen oder auch regionalen Mitbewerbern oder gar den besten in ganz Deutschland zu vergleichen. Das bekommen sie von uns kostenlos.

Aber nicht selbstlos.

Natürlich nicht. Unser Ziel ist es, nach und nach den Boden für eine bessere Ergebnisqualität zu bereiten. Die offensive Kommunikation von medizinischer Ergebnisqualität erzeugt einen gewissen Handlungsdruck bei den Krankenhäusern. Genau das bezwecken wir ja auch, denn eine kritische Diskussion zu Behandlungsergebnissen und das Lernen daraus haben den größten Impact auf die kontinuierliche Verbesserung des Versorgungsniveaus. Dabei helfen die Datenanalysen, die auf den Abrechnungsdaten der Krankenhäuser basieren, enorm, weil sie absolut objektiv sind.

Wie genau helfen die QSR-Daten den Kliniken, ihre Ergebnisqualität zu verbessern?

Hinter den grünen Lebensbäumchen stehen ausgefeilte und sehr detaillierte Analysen, die wir den Krankenhausleitungen in einem internen, vertraulichen Klinikbericht zur Verfügung stellen. Nur so kann man unserer Meinung nach Kliniken dazu bringen, in ein Qualitätsmanagement zu investieren, um aus den von uns identifizierten Verbesserungspotenzialen eigene Handlungsoptionen zu erarbeiten.

Machen Sie sich diese Mühe auch deshalb, weil sich damit Kosten sparen lassen?

Es geht uns natürlich auch um Vermeidung von Fehl-Allokationen durch schlechte Qualität. Zwischen dem, was eine Krankenkasse an eine Klinik mit guter oder schlechter Qualität bezahlen muss, liegen manchmal für einen einzigen Behandlungsfall einige Tausend Euro. Durch Komplikationen oder Wiederaufnahmen kann es zu weiteren deutlichen Mehrkosten kommen.

Ein weiteres Instrument, um die Behandlungsqualität in Krankenhäusern zu verbessern, sind Mindestmengen.

Ja, die gesetzlichen Mindestmengen sind ein wichtiges Instrument für mehr Patientensicherheit. Ziel ist es, besonders anspruchsvolle, komplizierte und planbare Operationen und Behandlungen nur in Kliniken durchzuführen, die über viel Erfahrung verfügen. Studien belegen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Routine und Behandlungsergebnis. In Kliniken, in denen die Mindestmenge erreicht wird, ist das Risiko für Komplikationen bei den behandelten Patient:innen deutlich niedriger als in Kliniken, mit wenigen Eingriffen pro Jahr.

Die vom G-BA beschlossenen Mindestmengen-Regelungen gibt es bislang jedoch nur für sieben planbare Leistungen. Warum gibt es nicht mehr?

Der G-BA wurde vom Gesetzgeber aufgefordert, kontinuierlich weitere Mindestmengenregelungen für andere Leistungsbereiche wissenschaftlich fundiert zu beschließen – der Prozess läuft. So hat der G-BA im Dezember vergangenen Jahres neue Mindestmengen für Brust- und Lungenkrebs-Operationen festgelegt, die die Krankenhäuser ab 2025 erreichen müssen. Das begrüßen wir ausdrücklich. Doch Mindestmengen haben nicht nur eine wissenschaftliche Basis, sondern darüber hinaus auch eine enorme politische Dimension.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir die Mindestmengen für die Früh- und Neugeborenen unter 1.250 Gramm. Die Mindestfallzahl für diese sehr kleinen Frühchen, die eine sehr komplexe Betreuung benötigen, wurde kürzlich von 14 auf 25 Behandlungsfälle pro Jahr erhöht. Wenn man strikt evidenzbasiert vorgehen würde, wäre die Mindestmenge sogar noch höher als die nun festgesetzte Zahl. Das aber war politisch nicht durchsetzbar, weil befürchtet wurde, dass damit deutlich weniger Frühgeborenenstationen die Mindestmenge erreichen und damit nicht mehr an der Betreuung dieser kleinen Patienten teilnehmen könnten.

Und das, obwohl allen bewusst ist, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Mindestmengen und Outcome-Qualität gibt und laut Studien sogar das Sterberisiko signifikant höher ist.

Das wird leider in Kauf genommen, weil die Zugangsqualität scheinbar höher gewichtet wird. Wir würden uns wünschen, dass der Zusammenhang zwischen Mindestmenge und Ergebnisqualität in der Politik, aber auch in der Bevölkerung deutlicher wahrgenommen und akzeptiert wird.

Müsste man nicht knallhart sagen: Wenn ihr die Mindestmenge nicht erfüllt, dürft ihr solche Patienten nicht mehr aufnehmen, sondern müsst sie an das nächste Krankenhaus mit erfüllter Mindestmenge weiterschicken?

Das ist richtig und ist ja auch so schon in der Mindestmengen-Regelung enthalten: Wer die Mindestmenge nicht erfüllt, darf nicht geplant behandeln und nicht abrechnen. Eine Aufnahme in diesem Krankenhaus ergibt dann keinen Sinn. Und nur zur Klarstellung: Notfälle sind davon ausgenommen. Die Mindestmenge bezieht sich nur auf planbare Operationen und Prozeduren. Allerdings kann einem Krankenhaus die Landesbehörde in bestimmten Fällen, in denen die Anwendung der Mindestmengen-Regelung eine flächendeckende stationäre Versorgung der Bevölkerung vermeintlich gefährden würde, die Leistungsberechtigung mittels Genehmigung erteilen.

Was können Sie außerdem tun, um Qualität sicherzustellen?

Wir nutzen alle Möglichkeiten, die uns per Gesetz gegeben sind bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Wir von der AOK Nordost sind da recht unerschrocken und investieren viel Energie und Überzeugung, um die Vorgaben der Qualitätssicherung zur Geltung zu bringen, auch indem wir die Vergütungen für Leistungen aussetzen, die unberechtigt erbracht wurden. Allerdings sind alle diese restriktiven Möglichkeiten nicht unsere erste Wahl. Das ist für uns nach wie vor der konstruktive Dialog mit allen Beteiligten.

Dies ist die gekürzte Version eines Interviews, das die Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, Daniela Teichert, dem Chefredakteur des Fachmagazins „Monitor Versorgungsforschung“ gegeben hat. Das vollständige Interview im des Fachmagazin „Monitor Versorgungsforschung“ (Ausgabe 3/2022) kann hier abgerufen werden.

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