Apps auf Rezept können mitunter die klassische Therapie ersetzen

Digitale Gesundheitsanwendungen können Patientinnen und Patienten einen echten Mehrwert bieten – wenn Ärztinnen und Ärzte die Apps auf Rezept gut in ihre Behandlung einbetten. Ein Praxisbeispiel aus dem Land Brandenburg zeigt, wie das gehen kann.

Dr. Marco Weiland, Orthopäde in Brandenburg an der Havel

Einmal kam ein Patient in seine Sprechstunde, weil seine App ihm geraten habe, er solle seine Rückenschmerzen lieber kontrollieren lassen, erzählt Dr. Marco Weiland. „Ich habe ihm geantwortet: Trainieren Sie ab jetzt einfach doppelt so oft“, sagt der Orthopäde mit eigener Praxis in Brandenburg an der Havel und lächelt verschmitzt. Denn zu wenig Bewegung und zu wenig Training der Rückmuskulatur sind die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen. Was an diesem Beispiel deutlich wird: Digitale Gesundheitsanwendungen kommen langsam, aber sicher im ärztlichen Behandlungsalltag an.

Seit gut zwei Jahren können sich Patientinnen und Patienten Digitale Gesundheitsanwendungen – kurz DiGAs oder eben „Apps auf Rezept“ – verschreiben lassen. 40 Anwendungen haben mittlerweile die Zulassungskriterien des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfüllt und sind im sogenannten „DiGA-Verzeichnis“ aufgelistet. Bislang ließen sich rund 2.800 AOK Nordost-Versicherte eine DiGA verschreiben. Auf 1000 AOK Nordost-Versicherte kommen damit 1,6 Verordnungen.

Eine bundesweite Umfrage unter AOK-Versicherten, die eine DiGA genutzt haben, zeigt ein gemischtes Feedback: 40 Prozent gaben an, die App auf Rezept habe ihnen geholfen, ihre Krankheit zu lindern. Die meisten anderen Nutzerinnen und Nutzer hatten Probleme bei der Umsetzung der digitalen Therapieinhalte oder sie fanden, die Anwendung passe nicht zu individuellen Krankheitssituation. Am gefragtesten war in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern „Vivira“ – eine App auf Rezept zur Behandlung von Rückenschmerzen.

DiGAs können vor oder nach der Arbeit genutzt werden

Mit dieser DiGA hat Dr. Weiland bereits gute Erfahrungen gemacht. Mehr als 40 Patientinnen und Patienten hat der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie die Rücken-App schon verschrieben. Damit ist Dr. Weiland ein Vorreiter seines Berufsstandes. Der Mehrwert der Anwendung liegt für Dr. Weiland ganz klar in der Flexibilität. „Gerade Berufstätige können das vor oder nach ihrer Arbeit machen. Mir ist es wichtig, dass es Angebote gerade für die Menschen gibt, die sich nicht krankschreiben lassen wollen.“

Für Dr. Weiland ist die App kein zusätzliches Angebot zu einer klassischen Physiotherapie, sondern eine App kann diese Physiotherapie bei bestimmten Patientinnen und Patienten ersetzen. „Wenn jemand mehrfach am Tag Übungen mit der App macht, erscheint mir das deutlich effektiver als sechs Termine Physiotherapie verteilt über einen Monat.“ Natürlich sei das nicht immer möglich. „Wenn jemand kein Smartphone hat, brauche ich ihm keine App vorzuschlagen. Da ist die klassische Therapie besser.“ Einer der großen Vorteile ist für den Arzt, dass die Patientinnen und Patienten selbst aktiv werden müssen. Denn besonders beim Thema Rückenschmerz liegt die Ursache häufig in der nicht ausreichend trainierten Rückenmuskulatur. Da seien Schmerzen bei den geringsten Belastungen einfach vorprogrammiert.

Die Rücken-App ist teurer als klassische Physiotherapie

Doch wie gut ist die DiGA Vivira im Vergleich zur Physiotherapie? Eine wichtige Frage – vor allem, weil sie vergleichsweise kostspielig ist. Eine dreimonatige Verordnung der „Vivira“-DiGA ist mit 211 Euro teurer als sechs Termine Physiotherapie. Ein Argument, dass Dr. Weiland aber so nicht gelten lassen möchte: „Wenn ich mehrfach am Tag Übungen mit der App mache, dann kann ich das mit einzelnen Terminen in der Physiotherapie überhaupt nicht vergleichen. Da bleiben pro Therapieeinheit nach An – und Ausziehen bestenfalls 15 Minuten effektive Trainingszeit übrig. Und die in der Physiotherapie erlernten Selbstübungen werden, wenn sie überhaupt zu Hause wiederholt werden, sehr schnell auf die leicht durchführbaren Lieblingsübungen reduziert.“

Die AOK-Umfrage zeigt allerdings, dass nur rund die Hälfte der Anwender die verordnete DiGA wirklich so intensiv nutzt, dass sich die Beschwerden deutlich bessern. Dennoch wird die Anwendung auch bei Wenignutzenden voll bezahlt – während bei der Physiotherapie nur die Termine abgerechnet werden können, die wirklich wahrgenommen wurden.

Die Erfahrungen seiner Patientinnen und Patienten jedenfalls seien überwiegend positiv, sagt Dr. Weiland. Viele berichten davon, dass sie durch die regelmäßigen Übungen deutlich weniger Schmerzen hätten. Denn beim alleinigen Verschreiben der App bleibt es bei Dr. Weiland nicht. Er integriert die Ergebnisse der App auch in seinen Behandlungsalltag, fragt nach, welche Übungen die Patienten gemacht haben und lässt sich gegebenenfalls auch Übungen vorführen.

„Ich finde es sehr sinnvoll, digital mitzugehen. Nicht nur für mich, sondern auch, dass die Patientinnen und Patienten digitale Angebote nutzen können“, sagt Dr. Weiland. Er hätte beispielsweise auch einen fast 90-jährigen Patienten gehabt, der die App mit Begeisterung genutzt habe. DiGAs seien also nicht ausschließlich etwas für digital affine Menschen.

Nur gut jeder dritte Arzt bespricht die Ergebnisse der DiGA-Anwendung

Doch viele Ärztinnen und Ärzte sind längst noch nicht so aufgeschlossen gegenüber digitalen Gesundheitsanwendungen. Vor allem, wenn es darum geht, die Apps auf Rezept so wie Dr. Weiland auch in Ihren Behandlungsalltag zu integrieren. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Befragten in der AOK-Umfrage wurde von den Ärztinnen und Ärzten oder Therapeutinnen und Therapeuten, die eine Digitale Gesundheitsanwendung verschrieben hatten, nicht über die Funktionen aufgeklärt. Nur 38 Prozent der Patientinnen und Patienten gaben an, dass die Ergebnisse ihrer DiGA-Anwendung in der Praxis besprochen worden sind. „Bei der Integration der DiGAs in die ärztliche Behandlung zeigen die Befragungs-Ergebnisse noch Verbesserungspotenzial“, betont Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK Bundesverbandes.

Die Zurückhaltung seiner Kolleginnen und Kollegen kann sich Dr. Weiland am ehesten durch den erschwerten Zugang für Ärztinnen und Ärzte erklären. „Es gibt oft keinen Testzugang, mit dem wir uns als Ärztin oder Arzt eine App mal anschauen können, um sie unseren Patientinnen und Patienten empfehlen zu können“ sagt Dr. Weiland. Er müsse mit Schulungen viel Zeit und vor allem auch Geld investieren, um eine neue App überhaupt erst einmal auszuprobieren. Auch die Unsicherheit möglicher Regressforderungen verunsichere einige Kollegen. Das schrecke vermutlich viele ab.

Dr. Weiland hält das nicht davon ab, sich immer wieder mit neuen – vor allem digitalen – Wegen auseinander zu setzen. „Wir merken auch, dass unsere Patientinnen und Patienten es gut finden, dass wir auf moderne Technik setzen. Wir versuchen einfach, da am Puls der Zeit dran zu bleiben.“ Die Nutzung der Digitalen Gesundheitsanwendungen als Teil der Behandlung kann dabei ein Baustein sein.

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