In diesem Jahr rückt die Gesundheitspolitik mit Macht in den Fokus. Bei den Bundestagswahlen im Herbst kann sie eine entscheidende Rolle spielen. Dabei geht es nicht nur darum, die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Es geht um nichts weniger als um die Zukunftsfähigkeit unseres gesamten Gesundheitssystems. Im Super-Wahljahr – neben dem Bundestag werden am 26. September auch das Abgeordnetenhaus in Berlin und der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern gewählt – werden dafür die parteipolitischen Weichen gestellt.
Die Herausforderungen sind nicht über Nacht gekommen und auch nicht mit der Corona-Krise. Die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre wurde „auf Pump“ gebaut, in Zeiten guter Konjunktur gesundheitspolitisch aus dem Vollen geschöpft. Die Finanzwirkung der Gesetzgebung dieser und vorangegangener Legislaturperioden wird uns noch weit in die neue Wahlperiode begleiten und das Gesundheitssystem mit Milliardenkosten belasten.
Strukturelle Lücke von rund 20 Milliarden Euro
Was wir heute schon wissen: Die ausgesprochene „Sozialgarantie“ mit der Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge wird im nächsten Jahr wohl kaum verwirklicht werden können – selbst, wenn die von Jens Spahn im langsam beginnenden Wahlkampf angekündigte Erhöhung des Bundeszuschusses für 2022 kommt. Diese Erhöhung ist wichtig, wird aber nur kurzfristig helfen, die GKV-Finanzen im Lot zu halten. Die wachsende strukturelle Lücke und die zunehmende Komplexität in der Versorgung haben Folgen und verschärfen die für das Gesundheitswesen spezifische dreifache Knappheit aus Geld, Gesundheit und Gesundheitsberufen.
Die strukturelle Lücke in der gesetzlichen Krankenversicherung – also das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben – liegt bei rund 20 Milliarden Euro. Tendenz: weiter steigend. Die Krisenlasten, die Zunahme alterungsbedingter Erkrankungen und vor allem die teure Gesetzgebung der ablaufenden Legislaturperiode vergrößern diese Lücke. Damit einher geht ein alterungsbedingter Rückgang der Erwerbsbevölkerung, der das bestehende Stadt-Land-Gefälle weiter verstärkt.
Das Leistungsversprechen ist in Gefahr
Das Leistungsversprechen der GKV – eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung für jeden Menschen – ist damit in Gefahr. Die entscheidende Frage, die dringend von der neuen Regierung angepackt werden muss, lautet: Wie kann das solidarische Gesundheitssystem in Deutschland nachhaltig ausgestaltet werden, damit die Beitragsgelder für eine effiziente und gleichermaßen qualitätsgesicherte Versorgung eingesetzt werden?
Die entscheidende Frage lautet: Wie kann das solidarische Gesundheitssystem in Deutschland nachhaltig ausgestaltet werden?
Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost
Aus unserer Sicht können wir dieses Ziel nur erreichen, wenn kurzfristige Maßnahmen endlich mit einem nachhaltigen Strukturwandel kombiniert werden, der letztendlich zu mehr Versorgungseffektivität führt.
Finanzierungsmix muss nachhaltig funktionieren
Die Finanzierung der GKV muss mit einem verlässlichen Mix aus verschiedenen Instrumenten nachhaltig gesichert werden. Dazu gehört ein regelhafter und fairer Bundeszuschuss, mit dem gesamtgesellschaftliche Aufgaben bereits jetzt gegenfinanziert werden und der regelmäßig an die reale Kostenentwicklung angepasst werden muss. Auch muss endlich die Private Krankenversicherung bei der Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben einbezogen werden.
Darüber hinaus sind gerechte Beiträge, eine Mischung aus einer Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes und der Zusatzbeiträge, die weiterhin als Wettbewerbsinstrument dienen, Ansätze für eine nachhaltige Finanzierung. Die Patientinnen und Patienten müssen sich auf sozialverträgliche und sinnvolle Zuzahlungen einstellen, die vor allem einen steuernden Effekt in der Versorgung entfalten sollen. Und nachdem die Krankenkassen die Rücklagen der Beitragszahler zur Stabilisierung des Systems zu großen Teilen eingesetzt haben, sind auch die Leistungserbringer gefordert, sich mit einem „Solidarbeitrag“ – also kurzfristigen Einsparungen – an der GKV-Finanzierung zu beteiligen, bis Strukturreformen greifen.
Herausforderungen im Nordosten nichts Neues
Beim Thema Strukturwandel bekommen wir im Nordosten die Herausforderung bereits seit einiger Zeit zu spüren, die auch in anderen Regionen Deutschlands bald Realität sein werden. Unsere Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre als Dreiländerkasse in der Metropole Berlin und den Flächenländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bringen wir in die anstehende Diskussion mit ein. Die Ideen der AOK Nordost, wie wir gemeinsam ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem gestalten können, finden Sie auf unserem neuen Blog „AOK Nordost Forum“.
Bis zu den Wahlen im Bund sowie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zeigen wir Ihnen, an welcher Stelle und wie wir uns Verbesserungen in unserem Gesundheitssystem konkret vorstellen. An kritischen Stellen werden wir den Finger in die Wunde legen und nachhaken. Für uns ist das übrigens keine Einbahnstraße – nutzen auch Sie unser „Forum“ und kommen mit uns ins Gespräch. Ich freue mich auf den Dialog!
Die Positionen der AOK Nordost finden Sie hier zum Download.