„Sprache ist der Schlüssel zur Welt!“ Was nach einem schönen Slogan klingt, ist für Katrin Breitag ein essenzieller Grundsatz: „Sprache brauchen wir, um teilhaben, um mit anderen in Beziehung gehen und auch über Gefühle sprechen zu können“, sagt die Leiterin der Kita Waldsternchen im brandenburgischen Neuseddin. Die Einrichtung wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Sprach-Kitas“ gefördert und legt in ihrem Konzept großen Wert auf Sprache und sprachliche Bildung der kleinsten und kleinen Kinder im vorschulischen Bereich.
Sprachförderbedarf auf gleichbleibend hohem Niveau
Die Kita Waldsternchen hat sich zum Grundsatz gemacht, Kinder sprachlich bestmöglich zu fördern. Und das nicht ohne Grund. „Ich bin schon ein paar Jahre im Beruf und sehe, dass der Bedarf an Sprachförderung in den letzten Jahren gleichbleibend hoch geblieben ist“, sagt Katrin Breitag und bestätigt damit die Ergebnisse des diesjährigen Heilmittelberichts des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WiDO). In diesem wurde schwerpunktmäßig die Verordnung von Sprachtherapien AOK-versicherter Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren ausgewertet und die Zeiträume vor und während der Covid-19-Pandemie miteinander verglichen. Während die Werte in Mecklenburg-Vorpommern von 5,2 Prozent auf 5,9 Prozent und in Berlin von 5,4 Prozent auf 5,5 Prozent leicht anstiegen, konnte einzig das Land Brandenburg einen Rückgang verordneter Sprachtherapien von 6,1 Prozent auf sechs Prozent verzeichnen.
„Obwohl Familien während der Corona-Pandemie mit vielen Einschränkungen konfrontiert waren, hat sich dies nicht gravierend auf die sprachliche Entwicklung bei den fünf- bis siebenjährigen Kindern ausgewirkt. Das ist eine erfreuliche Botschaft. Versäumte Therapien konnten nachgeholt werden, ein eklatant steigender Bedarf an Sprachtherapien ist bislang ausgeblieben. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass schon vor Corona bei vergleichsweise vielen Kindern eine Störung bei der Sprachentwicklung festgestellt und therapiert wurde“, schätzt Michael Hewelt, zuständig für den Bereich Heilmittel bei der AOK Nordost, die Ergebnisse ein.
Heilmittelbericht des WiDO veröffentlicht
Der diesjährige Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) vergleicht die Verordnungen vor und während der Covid-19-Pandemie. Ein Schwerpunkt des Berichts liegt auf den verordneten Sprachtherapien für Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren. Ein Ergebnis: Der Förderbedarf hat sich nicht signifikant erhöht. Doch nach wie vor benötigen viele Kinder eine Sprachtherapie.
Sprachorientiertes Konzept setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kinder seien im Kita-Alltag deutlich zu spüren. „Für Kinder, die zuhause bleiben mussten, weil ihre Eltern keine systemrelevanten Berufe hatten, war das zum Teil eine Katastrophe“, erzählt Katrin Breitag. Einige Kinder seien viel vor den Fernseher gesetzt worden oder durften über die Maße viele Spiele auf Konsolen spielen. „Da mussten wir einiges aufholen – vor allem auch bezogen auf das Sprachliche“, so die Kitaleiterin.
In der Kita Waldsternchen setzen sich deshalb viele einzelne Puzzleteile zu einem großen Konzept zusammen. Das fängt bei dem täglichen Gesprächskreis an, in dem jedes Kind die Möglichkeit haben soll, ins Sprechen zu kommen und sich mitzuteilen. Gerade für introvertierte Kinder sei dies wichtig. Hinzu kommt das Programm „Wuppis Abenteuer-Reise“ speziell für die Vorschulkinder, in dem unter anderem allgemeine Gesprächsregeln in Vorbereitung auf die Schule gelernt werden, und die Puppe (Persona Doll) „Isabella“, die die Kinder regemäßig in ihren Gruppen besucht und zu Gesprächen einlädt.
Schon mit Fünf- bis Sechsjährigen lässt sich philosophieren
Eine Besonderheit der Kita Waldsternchen stellt eine Kooperation mit einer logopädischen Praxis dar. Zwei Vormittage in der Woche kommt eine Logopädin in die Kita und behandelt Kinder, die eine Sprachtherapie verschrieben bekommen haben, direkt vor Ort. „Wir versuchen, diese Logopädie-Termine so integrativ wie möglich zu gestalten“, erzählt Katrin Breitag. Schließlich habe ein Förderbedarf auch immer etwas mit Stigmatisierung zu tun.
Das sprachzentrierte Konzept basiert neben dem Bundesprogramm auch sehr stark auf einer speziellen Person der Kita Waldsternchen. Seit 2013 arbeitet Danae Esser hier als Sprachpädagogin. „Meine Rolle ist es, die sprachliche Bildung der Kinder im Alltag zu leben und für sie ein Sprachvorbild zu sein.“ Mit den Kindern zu sprechen und das Tun der Kinder sprachlich zu begleiten, sind die wichtigsten Teile ihrer Arbeit. „So kann ich gerade den kleinen Kindern Worte schenken“, sagt sie. Je älter die Kinder werden, desto umfangreicher wird die Arbeit. Schon mit Fünf- und Sechsjährigen lasse sich bereits diskutieren und auch philosophieren, erzählt die studierte Diplom-Sprechwissenschaftlerin und Sprachtherapeutin. Der Fokus ihrer Arbeit liegt aber nicht nur auf den Kindern, sondern Danae Esser steht auch den Kolleginnen und Kollegen sowie Eltern beratend zur Seite.
Sprache ist die Grundlage für soziale Teilhabe
„Die Unterstützung durch einer Sprachpädagogin ist im Rahmen der Förderung der Sprach-Kitas eine unglaublich wertvolle Ressource“, sagt Katrin Breitag. Jemand mit einer fokussierten Ausbildung im Hinblick auf die Sprachentwicklung und Sprachverzögerungen sei extrem wichtig, sowohl für die Kinder als auch für das ganze Team. „Von Sprache geht alles aus. Das muss die Politik auch einfach verstehen. Kinder, die nicht verstehen, was gesprochen wird oder die sich nicht mitteilen können, können am Alltag nicht teilhaben. Dabei ist Teilhabe das oberste Prinzip für alle Kinder“, erklärt Katrin Breitag. Die Aufgabe der Kita sei es deshalb, alle Kinder zu unterstützen, auch diejenigen, die kein Deutsch sprechen oder gar nicht sprechen könnten.
Im Juli 2022 hat das Bundesfamilienministerium die Streichung des Bundesprogramms für Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ zum Ende 2022 angekündigt und dafür viel Kritik geerntet. Dessen ungeachtet führen die Landesregierungen von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die Sprach-Kitas zunächst aus eigenen Mitteln weiter fort. Schließlich macht die Verordnung von Sprachtherapien über 40 Prozent aller Heilmittelverordnungen der AOK-versicherten Kinder in der Altersgruppe der Fünf- bis Siebenjährigen aus.
Welche wichtige Rolle das Sprechen zuhause für die Sprachentwicklung der Kinder spielt, betont Sprachpädagogin Danae Esser auch noch einmal: „Das Wichtigste ist, ein Kind zu sehen und wahrzunehmen, wie es sich äußert.“ In den Dialog mit Kindern zu treten, ist der erste Schritt zu einer gesunden Sprachentwicklung. „Dann ist es wichtig, mit Kindern darüber ins Gespräch zu kommen, wofür sie sich gerade interessieren. In den Dialog mit seinem Kind zu kommen, ist das A und O.“ Denn nur, wenn schon die Eltern ihren Kindern Worte schenken, können sie sich die Welt letztlich auch erschließen.