„Wir brauchen den Mut der Länder“

Viele Studien zeigen: Bei schwierigen Krankenhaus-Eingriffen steigt die Komplikationsrate erheblich, wenn OP-Teams zu unerfahren sind. Deshalb will die Bundesregierung Qualitäts-Standards verschärfen. Anstatt dagegen zu kämpfen, sollten die Flächenländer den Umbau ihrer Krankenhaus-Landschaft aktiv gestalten, fordert der Bundestags-Fachpolitiker Lothar Riebsamen (CDU). 

Herr Riebsamen, können aus Ihrer Sicht Qualitäts-Vorgaben in der Versorgung Leben retten? 

Es geht nicht immer gleich um Menschenleben, aber im Prinzip ja. In erster Linie geht es darum, dass nur solche Einrichtungen komplizierte Eingriffe vornehmen, die die Voraussetzungen dafür erfüllen. Sie müssen dafür nicht nur Mindestmengen erfüllen, sondern dazu gehört auch eine entsprechende Struktur-Qualität, also die personelle Ausstattung und eine entsprechende medizinisch- technische Ausstattung. Ich denke, wenn Sie die Patienten zu diesem Thema befragen, würden sie zustimmen, dass das sinnvoll ist. Da bin ich ziemlich sicher. Und deswegen müssen wir an der Stelle handeln. 

Zur Person

Lothar Riebsamen (CDU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2009 Mitglied im Gesundheitsausschuss. Er ist Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für die stationäre und teilstationäre medizinische Versorgung, Arbeit und Ausbildung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie für die medizinische Infrastruktur insbesondere im ländlichen Raum. Er war Amtsleiter für die Verwaltung der Kreiskrankenhäuser und Pflegeeinrichtungen im Landkreis Waldshut und Bürgermeister der Gemeinde Herdwangen-Schönach im Landkreis Sigmaringen.

Das würde aber bedeuten, dass gerade in Flächenländern wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern einige Menschen längere Wege in Kauf nehmen müssen, wenn ein Krankenhaus vor Ort eine komplizierte OP oder eine aufwändige Behandlung nicht mehr anbieten kann, weil es die Mindestmenge nicht erfüllt. Wie schafft man es, den betroffenen Menschen ein Angebot zu machen und sie besser als bisher zu unterstützen? 

An dieser Stelle liegt die Herausforderung. Ich komme aus dem ländlichen Raum. Es kann nicht sein, dass man zwei Stunden zur nächsten Uniklinik fahren muss. Aus Patientensicht sind diese Qualitäts-Vorgaben wichtig, aber es ist auch wichtig, dass die Kliniken erreichbar sind. Und deswegen sind in erster Linie die Länder gefordert, die Strukturen der Krankenhaus-Bedarfsplanung so zu gestalten, dass auch Krankenhäuser im ländlichen Raum komplizierte Eingriffe durchführen können. Der Bund hat mit den vier Milliarden Euro des Strukturfonds schon einiges dazu beigetragen, Möglichkeiten für Strukturverbesserungen zu schaffen. Ich erwarte von den Ländern jetzt auch, dass sie hier eine aktivere Rolle einnehmen. Ich war vor meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter Bürgermeister und auch Verwaltungsleiter in verschiedenen Kliniken. Ich kann sehr wohl nachvollziehen, dass es schmerzhaft ist, vor Ort solche Veränderungen zu akzeptieren. Und deswegen sind auch die Träger gefordert, mutig zu sein. Es müssen den Bürgern auch Angebote gemacht werden, die die Versorgung durch ambulante Strukturen oder teilstationäre Strukturen nicht verschlechtern, sondern vielleicht sogar verbessern. 

Bislang können Länder Mindestmengen-Vorgaben für einzelne Leistungserbringer aussetzen. Das hat die Durchsetzung der Mindestmengen bislang auch ein Stück weit erschwert. Im Gesetzgebungsverfahren zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung, dem GVWG, haben die Bundesregierung und auch ihre Fraktion dafür plädiert, den Ländern diese Veto-Möglichkeit zu nehmen. Warum ist das denn aus Ihrer Sicht notwendig? 

Also ich sehe es als extrem schwierig an, ausgerechnet beim Thema Qualität Ausnahmen zuzulassen. Die Mindestmengen sind vorgegeben. Ausgerechnet bei hochkomplexen Eingriffen, zum Beispiel bei Transplantationen oder komplizierten Eingriffen bei der Speiseröhre, Ausnahmen von der Qualität zuzulassen, verbietet sich aus meiner Sicht. Deswegen ist es richtig, dass man mit dem aktuellen Gesetz an der Stelle noch einmal nachjustiert.  

Anmerkung: Das Interview wurde geführt, bevor der Bundestag das GVWG am 11.Juni 2021 beschlossen hat. Auf Druck einiger Bundesländer haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf einen Kompromiss mit den Länden eingelassen und das Gesetz noch einmal geändert. In der der finalen Version des GVWG sind die Ausnahmemöglichlichkeiten für die Länder bei den Mindestmengen – anders als im Gesetzentwurf vorgesehen – deshalb nun doch nicht gestrichen worden. Wenn Krankenhaus-Standorte Mindestmengen unterschreiten, können die Länder den betreffenden Standorten damit weiterhin ausnahmsweise erlauben, an der Versorgung teilzunehmen – obwohl der Qualitätsstandard unterschritten wird. Neu geregelt wurde im GVWG lediglich, dass die Bundesländer vor Erteilen so einer Ausnahmegenehmigung Einvernehmen darüber mit den Landesverbänden der Krankenkassen herstellen müssen.

Im Dezember vergangenen Jahres wurde die Mindestmenge für extreme Frühgeborene mit unter 1250 Gramm Geburtsgewicht von 14 auf 25 erhöht. Im Land Brandenburg gibt es vier Perinatalzentren Level 1, in Mecklenburg-Vorpommern sind es auch vier – und klar ist, dass am Ende nur fünf dieser acht Zentren übrigbleiben werden.  Für Eltern erhöht sich die Behandlungsqualität – aber eine verlängerte Fahrtzeit zu ihren Kindern kann auch zu einer großen Belastung werden. Die sehr kleinen Frühgeborenen bleiben im Schnitt schließlich nach der Geburt noch etwa zwei Monate im Perinatalzentrum. Müssen hier auch zusätzliche räumliche Möglichkeiten geschaffen werden,also mehr Rooming-In-Zimmer? Dann müsten Eltern nicht morgens eine Stunde zu ihren Kindern fahren und abends wieder eine Stunde zurück – sondern könnten vor Ort bleiben? 

Wenn ich Strukturen verändere, dann muss ich neue Angebote schaffen. Beim Thema Perinatalzentren sind Ihre Beispiele völlig richtig. Wenn Eltern weitere Strecken fahren müssen, braucht es andere Angebote, die ihnen gemacht werden können. Ich bin jedoch ziemlich sicher, dass Eltern von Frühchen großen Wert auf Qualität legen. Eine Versorgung möglichst wohnortnah wäre natürlich ideal, aber möglichst wohnortnah zu Lasten der Qualität ist nicht im Sinne der Eltern. Die Eltern wollen gute Qualität haben, davon bin ich überzeugt, ergänzt um solche Angebote, wie Sie es geschildert haben. 

Wer finanziert solche Umbauten, um mehr Rooming-In-Zimmer zu schaffen? Ist es der Bund, sind es die Länder?  

Vom Gesetz her sind es ganz eindeutig die Länder. Sie haben zu 100 Prozent für die Investitionskosten-Förderung aufzukommen. Aber ich habe ja schon geschildert, wenn es um Strukturveränderungen geht, hat der Bund hier sehr großzügige Möglichkeiten aus bundesweiten Mitteln geschaffen – letztlich sind das Kassenmittel. Der Bund hat bereits 2015 einen Strukturfonds dafür eingerichtet, ausgestattet mit 500 Millionen Euro plus 500 Millionen Euro von den Ländern. Diesen Strukturfonds hat der Bund neu aufgelegt und es stehen jetzt insgesamt vier Milliarden bis 2022 zur Verfügung. Uns ist diese Strukturveränderung hinsichtlich besserer Qualität wichtig. Deswegen ist es gut angelegtes Geld. Bei den Mindestmengen geht es um Qualität und wenn es notwendig ist, ist dieses Geld genau dafür vorgesehen, Qualität zu verbessern, indem man Strukturen verändert. 

GVWG: Patientensicherheit erlaubt keine Kompromisse

Marita Moskwyn, Leiterin des Bereichs Stationäre Versorgung der AOK Nordost, kritisiert die Möglichkeit für Ausnahmeregelungen, die zu Lasten der Patientensicherheit geht.

Die Qualitätsvorgaben, die von der Bundesregierung beschlossen worden sind, werden von manchen Bundesländern nicht oder nur unvollständig umgesetzt. Sollte die Bundesregierung auch in diesem Bereich künftig eine größere Verbindlichkeit schaffen? 

Der Bund und der Deutsche Bundestag können nur Gesetze machen, ausführen an der Stelle müssen es die Länder. Die Vorgaben sind völlig klar und müssen bei der Krankenhaus-Bedarfsplanung berücksichtigt werden – die Struktur-Qualität, die Prozess-Qualität und die Ergebnis-Qualität. Und das nicht nur bei der Planung. Es muss ja auch in einem Monitoring beobachtet werden, ob die einzelnen Krankenhäuser diese Vorgaben einhalten. Ich könnte nicht nachvollziehen, dass die Länder nicht interessiert sind, wie die Struktur-, Prozess- und Ergebnis-Qualität in unseren Krankenhäusern aussieht.  Es interessiert die Länder sehr wohl. Es gehört allerdings Mut dazu, das dann auch umzusetzen. Der Bund hat diesen Mut mit der Gesetzgebung aufgebracht. Wir brauchen jetzt bei den Mut der Länder bei der Umsetzung. Und deswegen wird der Bund und der Deutsche Bundestag nicht nachlassen, bei dem Thema Qualität auch permanent zu schauen, ob wir da vorankommen oder nicht. 

In den vergangenen Jahren ist bei diesem Thema viel in Bewegung gesetzt worden. Müssen zukünftig klare Vorgaben gemacht werden, um das Thema noch weiter voranzubringen?  

Ich bin jetzt seit zwölf Jahren im Deutschen Bundestag für dieses Thema zuständig und habe in der Zeit gelernt: Das ist ein sehr dickes Brett, das man da bohrt. Und man muss den Bohrer auch zwei oder dreimal ansetzen. Aber bei einem so wichtigen Thema wie diesem wird man das auch tun. Der Bund wird an dieser Stelle nicht nachlassen. Ich glaube, dass diese Einsicht bei allen Beteiligten, auch bei den Trägern vor Ort, mittlerweile gereift ist.  

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