Die Arzneimitteltherapie sicher machen

Ein Haufen bunter Tabletten

Durch unerkannte Wechselwirkungen von Medikamenten sterben jedes Jahr mehr Menschen, als im Straßenverkehr. Das Innovationsfonds-Projekt „Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit​“, kurz TOP, soll dazu beitragen, das zu ändern. Wie genau das funktioniert, erklärt Apothekerin Ulrike Theilemann im Interview.

Ulrike Theilemann, Stationsapothekerin und TOP-Projektleiterin am Klinikum Frankfurt (Oder) Foto: Andreas Fatscher, Klinikum Frankfurt (Oder)

Frau Theilemann, im Klinikum Frankfurt (Oder) erproben Sie derzeit im Projekt TOP eine Software, die helfen soll, einen besseren Überblick über die Medikation ihrer Patientinnen und Patienten zu bekommen. Wenn Patienten für eine Behandlung ins Klinikum aufgenommen werden: Wie zuverlässig sind denn bislang die Medikationsangaben, die die Patienten machen können?

Bislang sind wir als Apothekerinnen nicht eingebunden bei der sogenannten Arzneimittelanamnese, das machen die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen. Aber in der Vorbereitung für das Projekt haben wir natürlich viel miteinander über das Thema gesprochen. Sie haben mir berichtet, dass die meisten Patienten bei der Aufnahme ins Krankenhaus schon eine Auflistung ihrer Medikation dabeihaben. Entweder in Form des bundeseinheitlichen Medikationsplanes oder in Form einer vom Patienten selbst erstellten Liste, manchmal auch handgeschrieben. Hier ist aber die große Frage, ob die Informationen aktuell und vollständig sind. Zudem sind die mündlichen Angaben vieler Patienten zu ihrer Medikation oft wenig konkret.

Zwar gibt es prinzipiell bei jedem Patienten die Möglichkeit, telefonisch beim behandelnden Hausarzt und weiteren behandelnden Fachärzten nachzufragen, welche Medikamente genau verordnet wurden. Aber das kostet im Stationsalltag sehr viel Zeit und raubt Personalkraft. Deshalb kann das meist nur bei jenen Patienten realisiert werden, die keine oder nur sehr ungenaue Angaben zu ihrer Medikation machen können. Bei den übrigen Patienten basiert die Arzneimittelanamnese auf Vertrauen.

Was verbessert sich durch die digital gestützte Erfassung der Medikation, die im Projekt TOP nun im Stationsalltag getestet wird?

Um erfolgreich mit der Software zu arbeiten, ist es für mich essenziell, den Patienten aufzusuchen und ihn unter anderem zu seiner Medikation und bereits aufgetretenen Nebenwirkungen zu befragen. Diese Informationen gebe ich in die Software ein. Auch privat erworbene, nicht verordnete Medikamente, die der Patient einnimmt, werden dabei erfasst.

Der Clou ist nun: Wenn der Patient einwilligt, dann kann ich in der Software auch seine Krankenkassen-Abrechnungsdaten der vergangenen 36 Monate hinzufügen. Diese Daten erhalten alle Angaben zu ärztlich verordneten Medikamenten und zu den Diagnosen. Dadurch lassen sich eventuelle Informationslücken mit ein paar Mausklicks schließen. Das gibt mir und meinen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen die Sicherheit, dass wir eine vollständige und korrekte Aufnahmemedikation haben. Dadurch können wir Wechselwirkungen zwischen der bisherigen Medikation des Patienten und den Medikamenten, die wir im Krankenhaus geben, wesentlich effektiver verhindern als bisher.

Mehrere bunte Tabletten liegen in einer hohlen Hand

„Durch Medikationsfehler sterben mehr Menschen als im Straßenverkehr“

Etwa 250.000 Menschen werden in deutschen Krankenhäusern jährlich wegen Medikationsfehlern behandelt. Der „​electronic Life Safer“ (eLiSa) soll das verhindern. Susanne Dolfen, Bereichsleiterin ambulante Versorgung der AOK Nordost, und Prof. Dr. Daniel Grandt ist Chefarzt für Innere Medizin am Klinikum Saarbrücken und Vorsitzender der Kommission Arzneimitteltherapie-Management (AMTM) & Arzneimittel­therapie­sicherheit (AMTS) der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, sprechen im Interview über die digitalen Möglichkeiten für mehr Arzneimittelsicherheit.

Welche Wechselwirkungen lassen sich durch die Software künftig vermeiden?

Prinzipiell ist es so, dass die Software alle unerwünschten Arzneimittelwirkungen erkennen kann. Das sind ja nicht nur Wechselwirkungen, sondern es können zum Beispiel auch Dosierungsfehler sein. Aber um ein Beispiel zu nennen: Angenommen, ein Patient leidet an Bluthochdruck und hat eine chronische Nierenfunktionsschwäche. Deshalb nimmt er seit Jahren Medikamente gegen Bluthochdruck. Nehmen wir weiter an, der Patient soll nach einer Operation Schmerzmedikamente verordnet bekommen. Dann würde mich die Software mit einem roten Kästchen optisch darauf hinweisen, dass ich dem Patienten kein Ibuprofen geben kann. Denn Ibuprofen kann die Nieren schädigen und sich auch ungünstig auf den Blutdruck auswirken. Als Apothekerin würde ich in diesem Fall dem behandelnden Arzt empfehlen, ein alternatives Schmerzmittel anzuwenden, wie zum Beispiel Novalgin oder Tramadol.

Das Projekt läuft bis September 2024, es wird wissenschaftlich ausgewertet. Wenn sich die neue Form des Medikations-Checks im Klinikalltag bewährt: Was würde sich dadurch für die Patientinnen und Patienten verbessern?

Wenn das Projekt erfolgreich verläuft, bin ich mir sicher, dass wir die Patientensicherheit deutlich verbessern können. Das wollen wir erreichen, in dem wir uns durch das Projekt als Apotheker auf den Stationen etablieren. Dadurch können wir den Ärzten, den Pflegekräften und auch den Patienten mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn es um die Medikation geht. In einem Satz: Wir wollen die interprofessionelle Zusammenarbeit stärken, um die Arzneimitteltherapie in unserem Krankenhaus so sicher wie möglich machen zu können.

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