Am 26. September wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Juliane Venohr, Leiterin der Landesvertretung der AOK Nordost in Mecklenburg-Vorpommern, spricht im Interview über die Herausforderungen für das Flächenland und die notwendigen Strukturveränderungen.
Frau Venohr, vor welchen Herausforderungen steht die neue Landesregierung in MV in der nächsten Legislaturperiode?
Mecklenburg-Vorpommern ist stark vom demografischen Wandel betroffen. Unsere Bevölkerung ist im Schnitt älter als in anderen Bundesländern. Die gute Nachricht ist, dass wir immer älter werden. Das bedeutet aber auch, dass wir für sehr alte Menschen eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung brauchen. Zudem wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in unserem Land weiter ansteigen, die auf Unterstützung zu Hause angewiesen sind. Diese altersbedingte Entwicklung stellt das Gesundheitssystem im Land seit Jahren vor große Herausforderungen. Verschärft wird die Situation durch den Fachkräftemangel, sowohl bei der Ärzteschaft als auch beim Pflegepersonal. Die Enquete-Kommission des Landtages hat sich bei diesen Themen schon mit vielen wichtigen Fragen befasst. Die Aufgabe der künftigen Regierung wird es sein, richtige und nachhaltige Lösungsansätze für eine zukunftsfeste Versorgung umzusetzen.
Welche Ansätze sehen Sie, um die Versorgung im Land zukünftig zu sichern?
Klar ist: Die Versorgungsleistungen müssen noch zielgerichteter bei den Patientinnen, Patienten und Pflegebedürftigen ankommen. Dafür muss die Struktur der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung weiterentwickelt werden. Um diese Veränderungen anzugehen, brauchen wir mutige und konsequente Schritte. Kern dieser neuen Struktur muss eine sektorenunabhängige gemeinsame Versorgungsplanung sein. Nicht jedes Krankenhaus muss jede Operation anbieten können. Hier ist es wichtig, Spezialisierungen der Kliniken vorzunehmen. In einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern stehen die Menschen zwar vor der Herausforderung, für spezielle Eingriffe eine weitere Strecke fahren zu müssen. Dafür kann aber die Qualität der Behandlung erhöht werden. Bei der medizinischen Grundversorgung plädieren wir für die Bildung ambulant-stationärer Zentren, die auch die Fläche abdecken. Diese Zentren müssen zudem untereinander bestmöglich digital vernetzt sein. Bei dieser neuen sektorenübergreifenden Struktur sehen wir auch das Land weiterhin in seiner Investitionsverantwortung, zum Beispiel damit im ländlichen Raum auch kleinen Kliniken Versorgungsperspektiven erhalten bleiben.
Strukturfragen sind das eine, kurzfristig klafft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aber eine große Finanzlücke. Wie muss eine nachhaltige Finanzierung des Systems aussehen, damit das Leistungsversprechen erhalten bleibt?
Die wachsende strukturelle Lücke von mehr als 20 Milliarden Euro und die zunehmende Komplexität in der Versorgung haben Folgen. Sie verschärfen das Spannungsdreieck aus Geld, Versorgung und Fachkräften. Um die Finanzierung des Gesundheitssystems zu sichern, ist ein nachhaltiger Finanzierungsmix notwendig. Dazu gehören ein regelhafter und fairer Bundeszuschuss, eine stärkere Beteiligung der Privaten Krankenversicherung für die Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben sowie ein Solidarbeitrag der Leistungserbringer, der kurzfristige Einsparungen ermöglicht, bis die Strukturreformen greifen. Auch ein fairer Beitragssatz gehört dazu. Außerdem kann mit Wahltarifen, Pflegebudgets und Bonussystemen Leistungen stärker auf Patientinnen und Patienten zugeschnitten werden. Die Finanzierung ist aber nur die eine Seite der Medaille: Ohne den beschriebenen Strukturwandel würden wir immer nur mehr Geld ins System pumpen und nicht an einer effizienten Versorgung für unsere Versicherte arbeiten. Wir möchten mit allen Beteiligten über unsere Ideen sprechen und gemeinsam Lösungen umsetzen.