„Wir wollen gestalten und nicht nur verwalten“

Wie soll die Versorgung der Zukunft gestaltet sein? Mit dieser Frage beschäftigen sich Expertinnen und Experten der AOK Nordost aus unterschiedlichen Fachrichtungen in dem Projekt „Gesundheitsversorgung 2030“.  Aus dem Projekt heraus ist jetzt ein Zehn-Vorschläge-Papier entwickelt worden, wie eine Gesundheitsversorgung der Zukunft aus Sicht der AOK Nordost gestaltet werden sollte. Eine Kern-Erkenntnis des Papiers: Gesundheitsversorgung muss vor allem regional aufgestellt werden. Das Papier soll die Basis für die Entwicklung und Umsetzung konkreter Projekte in den Regionen bilden. Warum sich die AOK Nordost so stark in der Versorgungsgestaltung engagiert und welche Rolle dabei das Projekt spielt, darüber spricht die Vorstandsvorsitzende Daniela Teichert im Interview.   

Frau Teichert, Versorgungsgestaltung ist ja nicht unbedingt das ureigenste Aufgabengebiet einer Krankenkasse. Warum engagiert sich die AOK Nordost trotzdem so stark auf diesem Gebiet? 

Wir wollen fortschrittlicher Gestalter sein und nicht reiner Mangel-Verwalter. Und wir haben alles, was es dafür braucht: den Willen zur Gestaltung, die notwendige Erfahrung, eine starke regionale Verankerung und über Jahrzehnte gewachsene Netzwerke in den Regionen. Herausforderungen gibt es genug, die wir angehen wollen und müssen.  

Welche zum Beispiel? 

Insbesondere in den ländlichen Gebieten spüren wir heute schon die Folgen des demografischen Wandels dramatisch. Auf der einen Seite leben dort immer weniger Menschen, die aber immer älter werden und damit auch immer stärker auf eine gute medizinische, therapeutische und pflegerische Versorgung angewiesen sind. Auf der anderen Seite gibt es aber zu wenig Personal, was diese Menschen noch angemessen versorgen kann. Denn die ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Bereiche kämpfen in diesen Regionen schon seit Jahren mit einem Fachkräftemangel. Wir sehen diese Probleme und wollen sie strukturiert angehen. Dafür haben wir das Projekt „Gesundheitsversorgung 2030“ ins Leben gerufen.  

Was wollen Sie damit erreichen? 

Im Projekt „Gesundheitsversorgung 2030“ soll perspektivisch ein Muster für eine ‚Gesundheitsregion Nordost der Zukunft‘ entwickelt werden. Dieses Muster soll mit entsprechenden Anpassungen auf beliebige Regionen übertragbar sein. Für ein solches Vorhaben braucht es entsprechende Expertise. Und die haben wir in dem Projekt gebündelt: Expertinnen und Experten der AOK Nordost aus allen versorgungsrelevanten Fachrichtungen arbeiten dort zusammen. Daneben fließen auch die Erfahrungen aus Jahrzehnten aktiver Versorgungsgestaltung mit ein. Nicht zuletzt die aus dem Innovationsfondsprojekt „Strukturmigration in Templin – StimMT“. In diesem Projekt haben wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern den völlig neuen Ansatz der Strukturmigration zum ersten Mal erprobt – und sind auf viele Stolpersteine gestoßen. Aber das waren wertvolle Erkenntnisse für uns, die wir für das Projekt Gesundheitsversorgung 2030 nutzen können.

Gibt es schon erste Resultate? 

Aktuell ist aus dem Projekt heraus ein Zehn-Vorschläge-Papier für eine regionale Gesundheitsversorgung der Zukunft entstanden. Es zeigt gute und pragmatische Lösungen auf, wie wir die Versorgung besser, nachhaltiger und gleichzeitig auch effizienter gestalten können. Denn nicht nur die personellen, auch die finanziellen Ressourcen sind begrenzt. Wir können nicht einfach nur immer noch was oben drauflegen. Schon gar nicht angesichts der angespannten finanziellen Lage, in der sich die Gesetzliche Krankenversicherung aufgrund der Pandemie und der kostenintensiven Gesetzgebung der vergangenen Legislaturperioden gerade befindet. Wir müssen also auch schauen, wo es im Moment ein Zuviel und wo es ein Zuwenig gibt und dann entsprechend umsteuern. 

Was bedeutet das konkret? 

Wir müssen Versorgung wirklich bedarfsgerecht gestalten. Das heißt, dass wir besondere Bedarfe analysieren und darauf eingehen. Anhand dieser Analysen soll ein regionales Versorgungsangebot entwickelt werden, das der Nachfrage vor Ort entspricht. Wir können nicht mehr überall teure Strukturen vorhalten, die nicht den regionalen Bedürfnissen entsprechen. Auf der anderen Seite müssen wir aber sicherstellen, dass unsere Versicherten weiter Zugang zu den Versorgungsangeboten haben, die sie gerade benötigen. Hier spielen digitale Unterstützungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Auch gibt es noch viel Ineffizienzen in der Versorgung – oftmals beruhend auf veralteten und verkrusteten Strukturen – wo unnötig Geld versickert.  

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Ja natürlich. Nehmen wir zum Beispiel die Doppel- oder Mehrfachuntersuchungen, die durch eine bessere Kommunikation und Vernetzung vermieden werden könnten. Oder umständliche Prozesse, die durch Digitalisierung wesentlich verschlankt werden könnten. Und es werden immer noch viele Leistungen stationär erbracht, die problemlos ambulant durchgeführt werden könnten. Beispielsweise, wenn es darum geht, eine noch unklare Symptomatik abzuklären. Das verursacht nicht nur unnötige Kosten, sondern ist für die Patientinnen und Patienten auch mit höheren Belastungen verbunden. Auch müssen wir über Verantwortlichkeiten bei der Versorgung nachdenken. Muss der Arzt zum Beispiel alles machen?

Wie geht es jetzt weiter in dem Projekt? 

Im vergangenen Jahr wurden im Projekt „Gesundheitsversorgung 2030“ viele wichtige Ansätze und Ideen zusammengetragen. In den kommenden Wochen und Monaten wird nun intensiv daran gearbeitet, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Das heißt, wir wollen zunächst in ausgewählten Regionen gemeinsam mit den Partnern vor Ort konkrete Projekte auf der Basis unseres Zehn-Vorschläge-Papiers entwickeln. Wir befinden uns dazu bereits in Gesprächen mit der Politik und anderen Partnern in den Regionen. In der Umsetzung können wir dann auch schauen, wo wir eventuell noch nachjustieren müssen. Am Ende soll wie gesagt ein Muster stehen, das sich mit entsprechenden Anpassungen grundsätzlich auf jede beliebige Region übertragen lässt. 

Das Papier „Gesundheitsversorgung der Zukunft“ mit 10 Vorschlägen für eine regionale Versorgung kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Literaturempfehlung

Ist eine nachhaltige Regelversorgung auf regionaler Ebene ein Widerspruch in sich? Wenn ja, wie lässt sich dieser Widerspruch dann auflösen? Daniela Teichert beantwortet diese Fragen aus der Sicht einer großen regionalen Versorgerkasse in ihrem Beitrag „Gesundheit ist ein lokales Produkt: mehr Regionalität wagen!“ für den Herausgeberband „Zukunft Gesundheit“. Dieses Werk bündelt die aktuelle Diskussion rund um die Perspektiven der Gesundheitsversorgung und lässt neben Daniela Teichert viele weitere namhafte Expertinnen und Experten zu Wort kommen. Das Buch kann hier direkt beim Verlag bestellt werden.

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