Mecklenburg-Vorpommern als Modellregion für die Gesundheitsversorgung der Zukunft

Diskussion auf dem AOK Forum live am 21. März 2023 in Schwerin

Mecklenburg-Vorpommern ist nicht Berlin. Und nicht Nordrhein-Westfalen. Das gilt für viele Aspekte des täglichen Lebens, aber ganz besonders auch für die Gesundheitsversorgung im Norden des Ostens. Darin waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des AOK Forum live am Dienstagabend (21.3.2023) in Schwerin einig. So leben in Mecklenburg-Vorpommern auf relativ viel Fläche relativ wenig und relativ alte Menschen. Deren gesundheitliche Versorgung stand im Mittelpunkt der lebhaften Diskussion zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Versorgung vor mehr als 70 geladenen Gästen im Schweriner Schloss. Im Mittelpunkt: die geplante Krankenhausreform.

Qualität oder Quantität

Bund und Länder wollen bis zur parlamentarischen Sommerpause einen gemeinsamen Gesetzentwurf für eine Krankenhausreform erarbeiten. Nicht weniger als eine „Revolution“ hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt. Die Eckpunkte dafür hat die von ihm beauftragte Regierungskommission bereits im Dezember veröffentlicht. Wie aber werden sich die bereits bekannten Aspekte auf Mecklenburg-Vorpommern auswirken? Wie kann die medizinische Versorgung in einem dünn besiedelten Flächenland in Zukunft sichergestellt werden?

In ihrem Impulsvortrag gab die Volkswirtin Prof. Dr. Beate Jochimsen bereits konkrete Empfehlungen für eine zukunftsfeste Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Grundsätzlich stehe Mecklenburg-Vorpommern gar nicht so schlecht da. Problematisch sei jedoch die demographische Entwicklung mit wenig Bevölkerung auf relativ viel Fläche. Außerdem hätten nachrückende Ärztegenerationen eine andere Vorstellung ihrer Berufstätigkeit mit geregelterer Arbeits- und mehr Freizeit. Zumal machten teure Technik und lange Wege den Arztberuf auf dem Land auch weniger attraktiv als früher.

Hintergrund
Nachdem die AOK-Gemeinschaft bereits im August 2022 Reformvorschläge zur Krankenhausplanung und Vorhaltekostenfinanzierung vorgestellt hat, begrüßt sie nun ausdrücklich die vorgeschlagenen Empfehlungen der Kommission zu einer Krankenhausreform. Die darin enthaltenen Pläne zu einer Modernisierung der Strukturen und einer Dämpfung der Mengenanreize durch den teilweisen Wegfall der bisherigen Fallpauschalen in der Vergütung sowie die Einführung von Versorgungsstufen (Level) mit entsprechenden Leistungsgruppen zeigen den drängendsten Veränderungsbedarf bei den aktuellen Krankenhausstrukturen auf. Insbesondere im Bereich der sektorenübergreifenden Versorgung werden in den Empfehlungen die richtigen Signale gesetzt. In vielen Punkten ist die konkrete Ausgestaltung jedoch noch offen. Sie wird darüber entscheiden, ob die Reform zu einer signifikanten Modernisierung und Sicherung der Krankenhausstrukturen beitragen kann.
Daniela Teichert beim AOK Forum live am 21. März 2023 in Schwerin

Integrierte Versorgungszentren

Wichtig sei deshalb eine integrierte Versorgung, bei der ambulante und stationäre Versorgung eng zusammenarbeiten, dann aber auch gleich vergütet werden müssten, so die Volkswirtin in ihrem Einstiegsvortrag. Redundante Strukturen sollten reduziert und in bedarfsgerechte Versorgungsformen umgewandelt werden. Durch eine vernetzte ambulante Versorgung mit medizinischen Versorgungszentren könnte mithilfe von Digitalisierung und Telemedizin eine gute gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auch in Zukunft gewährleistet werden.

Expertise bündeln

Veränderungsbedarf sieht auch die Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, Daniela Teichert. Dabei dürften an der Qualität der Versorgung keine Abstriche gemacht werden. „Wenn eine Krankenhausbehandlung ansteht, sollen sich die Versicherten darauf verlassen können, dass das Krankenhaus über genügend Erfahrung bei der Behandlung verfügt. Das ist heute jedoch nicht immer der Fall. Für die beste medizinische Versorgung sollte Expertise deshalb an Krankenhaus-Standorten gebündelt werden, die sich auf bestimmte Eingriffe spezialisiert haben“, sagte Daniela Teichert. „Die Vorschläge der Regierungskommission für eine moderne Krankenhausversorgung gehen in die richtige Richtung. Auch, weil wir damit die Qualität und Wirtschaftlichkeit steigern. Wichtig ist uns als AOK Nordost eine Balance zwischen guter, sicherer medizinischer Versorgung und vertretbarer Erreichbarkeit der Häuser. Denn egal, welche Operation ansteht: Unsere Versicherten müssen sich darauf verlassen können, in guten Händen zu sein.“

Expertise bündeln für die beste medizinische Versorgung

Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Krankenhaus in den besten Händen sind. Deswegen plädiert Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, für eine Balance zwischen guter, sicherer medizinischer Versorgung und vertretbarer Erreichbarkeit der Häuser.

Die Herausforderungen jetzt müssten aus der Perspektive 2030 betrachtet werden, so Daniela Teichert. Der Veränderungsbedarf sei bereits da, das Geld aber nicht mehr. Deshalb plädierte sie nach dem Vorbild des Gaspreisdeckels für einen Preisdeckel beim Zusatzbeitragssatz.

Moderne, bedarfsgerechte Krankenhausreform

In Vertretung für Gesundheitsministerin Stefanie Drese, die an einer Sondersitzung des Landtags teilnehmen musste, betonte Ursula Claaßen, Abteilungsleiterin Gesundheit im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport: „Eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausreform ist so notwendig wie überfällig, dabei müssen medizinische Aspekte Vorrang vor rein wirtschaftlichen Kriterien haben. Als dünn besiedeltes Flächenland steht Mecklenburg-Vorpommern vor ganz besonderen Herausforderungen in der stationären Versorgung. Die Fortentwicklung und Sicherstellung der Krankenhausstruktur in unserem Land ist uns ein sehr wichtiges Anliegen. Ergänzend ist eine neue sektorenübergreifende Versorgungsplanung erforderlich. Für die Berücksichtigung dieser Realitäten und Bedarfe ländlicher Regionen setzt sich Ministerin Drese deshalb auch mit Nachdruck in den Bund-Länder-Gesprächen in Berlin zur Krankenhausreform ein.“

Die CDU-Bundestagsabgeordnete aus MV, Simone Borchardt, sieht ihr Bundesland grundsätzlich gut für eine mögliche Krankenhausreform aufgestellt. Jedoch blickt das Mitglied des Gesundheitsausschusses kritisch auf das, was aus dem Bundesgesundheitsministerium kommt. Allerdings handele es sich hierbei noch um ein Strategiepapier und keinen konkreten Gesetzentwurf, weswegen sie aktuell noch keinen konkreten Handlungsbedarf sieht.

Fachkräfte möglichst effektiv einsetzen

Für die immer drängenderen Probleme in der Gesundheitsversorgung seien in Mecklenburg-Vorpommern bereits eine Reihe guter Lösungen entwickelt worden, warf Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann vom Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald in die Diskussion ein. Konzepte wie ‚Schwester Agnes‘ müssten nun in die Regelversorgung überführt werden. „Verdrängen oder verschieben klappt nicht mehr.“ Es sei unstrittig, dass es eine Krankenhausreform geben müsse. Dabei setze sich auch bei den Patienten die Erkenntnis durch, dass Wohnortnähe für viele Dinge nicht so wichtig sei wie Qualität: „Wir müssen überlegen, wie wir unsere Fachkräfte möglichst effektiv einsetzen.“ Dieser Prozess müsse jedoch kontrolliert gesteuert werden, um weiße Flecken in der Versorgung zu vermeiden, so Prof. Hoffmann weiter.

Bei den Patienten setzt sich die Erkenntnis durch, dass Wohnortnähe für viele Dinge nicht so wichtig ist wie Qualität.

Prof. Dr. Wolfgang Hoffman, Institut für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald

Mangel an Fachkräften

Das Gesundheitssystem müsse umfassend neu aufgestellt werden, forderte Jan Weyer als Geschäftsführer der vier DRK-Kliniken in Mecklenburg-Vorpommern. Es sei falsch, dabei allein die Krankenhäuser in den Fokus zu nehmen. Schließlich würde auch niemand den Mangel an Lehrkräften bekämpfen, indem Schulen geschlossen würden. Vielmehr müssten die Rahmenbedingungen für Kliniken so gestaltet werden, dass diese wirtschaftlich überleben könnten.

Noch einen Schritt weiter ging Angelika von Schütz, die Vorstandsvorsitzende der Kassenärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern. Nicht die Bezahlung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sei das Problem. „Man findet die Fachkräfte einfach nicht mehr.“ Deshalb könnten Kliniken als integrierte Versorgungszentren auch kaum eine hausärztliche oder eine fachärztliche Grundversorgung übernehmen. Dafür müsste es dann auch die Kolleginnen und Kollegen geben, die das können.

Netzwerken geht nur mit Netz

Es müsse auch über Netzwerkstrukturen gesprochen werden, die seit Jahren gut funktionieren, betonte Daniela Teichert. So sei das Ärztenetzwerk HaffNet in Mecklenburg-Vorpommern bereits Teil eines etablierten Modells für die vernetzte Patientenversorgung auf dem Land. Das könne Klinikaufenthalte konkret verhindern. So könne das Ziel für Mecklenburg-Vorpommern sein, durch eine erfolgreiche Vernetzung zur Modellregion zu werden.

Grundsätzlich einig waren sich jedoch alle Teilnehmenden des AOK Forum live in Schwerin, dass es für eine vernetzte Versorgung auf dem Land auch ausreichend Netz geben muss. Eine elektronische Patientenakte oder beratende Gespräche mittels Telemedizin nützten gar nichts, wenn dafür nicht überall ein ausreichender Handyempfang vorhanden sei. 

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