Die Krankenhaus-Revolution kann nur der Anfang sein

Die Krankenhausreform bietet Brandenburgs angeschlagenen Kliniken Chancen, zu gesunden – aber was muss getan werden, damit die Reform gelingt? Und braucht es nicht noch tiefgreifendere Reformen, um die Versorgungsprobleme des Flächenlands zu beheben? Darüber diskutierten die Teilnehmenden beim AOK-Forum live in Potsdam.

Die einen meinen, Deutschlands Gesundheitssystem sei eines der besten der Welt. Die anderen verweisen auf tiefgreifende Probleme: Rund 80 Prozent der Krankenhäuser werden laut Krankenhaus-Barometer im laufenden Jahr voraussichtlich rote Zahlen schreiben. Flächenländer wie Brandenburg fürchten besonders um die Versorgung in dünn besiedelten Regionen. Denn dort fehlen nicht nur in Land-Krankenhäusern viele Ärztinnen und Ärzte  sowie Pflegekräfte – auch für viele Arztpraxen finden sich keine Nachfolger. Und auch mit der Qualität steht es nicht zum Besten: Zu viele kleine Krankenhäuser bieten aus wirtschaftlichem Druck komplexe Operationen an, die sie zum Wohle der Patientinnen und Patienten besser spezialisierten Kliniken überlassen sollten.

Dass es dringend Reformen braucht, um diese „Strukturkrise“ zu überwinden, darin waren sich alle Diskutanten beim AOK-Forum live am Donnerstagabend in Potsdam einig. Doch gelingt mit der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach angestoßenen Krankenhaus-Reform wirklich die „Revolution“ in diesem Sektor, die der Talkshow-gestählte Minister versprochen hat?

Versorgungsforscher mahnt stärkere Zielfokussierung an

Versorgungsforscher Edmund Neugebauer von der Medizinischen Hochschule Brandenburg zeigte sich in seinem Impulsvortrag skeptisch und optimistisch zugleich. Skeptisch, weil Expertinnen und Experten schon seit 15 Jahren tiefgreifende Reformen anmahnen, mit denen Fachkräfte in ambulant-stationären Behandlungszentren gebündelt werden können. Die Umsetzung sei bislang stets an Partikularinteressen gescheitert. Zudem sei das Wohl der Patientinnen und Patienten bei der Ökonomisierung der Medizin zu sehr aus dem Blick geraten.

Versorgungsforscher Prof. Dr. Edmund Neugebauer von der Medizinischen Hochschule Brandenburg

Optimistisch, weil Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher viel stärker als andere verstanden habe, dass eine sektorübergreifende Versorgung der richtige Weg sei. Brandenburg habe das Potential, eine Modellregion für den Umbau der Strukturen zu werden. Was fehle, seien allerdings konkrete Zielvorgaben, die von allen Partnerinnen und Partnern der Selbstverwaltung geteilt werden. „Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg“, sagte Neugebauer. Sorgen bereite ihm, dass die CDU-geführten Länder den Eindruck erweckten, die geplante Krankenhaus-Reform sei zum Scheitern verurteilt.

Zaske fordert „Luft zum Atmen“ für die Länder

Wie ist also die Position der Brandenburger Landesregierung zur Krankenhaus-Reform, fragte Moderator Matthias Gabriel in der anschließenden Diskussion Michael Zaske, den Gesundheits-Abteilungsleiter im Ministerium. „Wir haben schon seit Jahren eine Strukturkrise in unserem Gesundheitswesen. Frau Nonnemacher will deshalb, dass die Reform ein Erfolg wird“, sagte Zaske. Ein bis dreimal die Woche kämen er, Frau Nonnemacher sowie ihr Staatsekretär Michael Ranft derzeit mit Vertreterinnen und Vertretern der anderen Bundesländer in Facharbeitsgruppen zusammen. Dort erlebe er eine konstruktive Arbeitsatmosphäre. Auch die CDU-geführten Länder wollten kein Scheitern der Reform. Nur Bayern habe gesagt, dass es die Reform nicht wolle, und das sei dem Wahlkampf geschuldet.

Michael Zaske, Abteilungsleiter Gesundheit, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg

Zaske machte aber auch klar, dass sich die Länder die Planungshoheit für Krankenhäuser nicht wegnehmen lassen wollten, weil sie einen „Kahlschlag“ in der Krankenhaus-Landschaft fürchten. Ein Basisszenario des Bundesgesundheitsministeriums, welches die konkreten Auswirkungen der Reform auf alle deutschen Krankenhaus-Standorte zeige, werde zwar erst Anfang Mai erwartet. Aber Zaske macht jetzt schon klar, dass es mit den Ländern keine 1:1-Umsetzung des Regierungspapiers geben werde. „Der Rahmen, der vom Bund gesetzt wird, muss den Regionen Luft zum Atmen lassen. Deshalb sind wir uns einig, dass es Öffnungsklauseln und regionale Ausnahmen geben muss“.

Versorgung vordenken ins Jahr 2030

Natürlich brauche es gewisse regionale Anpassungsmöglichkeiten, stimmte die AOK Nordost-Vorstandsvorsitzende Daniela Teichert zu. Aber es sei wichtig, dass die Qualitätsparameter bundesweit einheitlich gelten. „Wir wollen nicht, dass wir Qualitätsunterschiede machen. Das Wohl der Patientinnen und Patienten muss im Zentrum der Reform stehen“, sagte Teichert.

Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost

Bei vielen komplexen Operationen sei mittlerweile durch Studien belegt, dass es mehr Sterbefälle und mehr Komplikationen gebe, wenn sie nicht in ausreichender Fallzahl erbracht werden „Aufgeklärte Patientinnen und Patienten gehen in ein Zentrum, wo OP in bester Qualität gemacht wird. Wir müssen dafür sorgen, dass diese gute Qualität zum Standard wird“, sagte Teichert.

Damit die Reform ein Erfolg wird, müssten die kleinen Krankenhäuser zu ambulant-stationäre Zentren umgebaut werden. Das von der AOK Nordost mit mehreren Partnern umgesetzte Pilotprojekt in Templin habe bewiesen, dass das funktioniere, der G-BA habe es für die Regelversorgung empfohlen. Nun sei die Politik gefordert, solche Umwandlungen in der Breite zu ermöglichen. Zudem müssten in weiteren Reformschritten auch Apotheken, Reha-Kliniken und Pflegeeinrichtungen in solchen regionalen Zentren integriert werden. „Wir müssen die Versorgung nicht aus heutiger Sicht planen, sondern vordenken ins Jahr 2030“, forderte Teichert.

„70 Stunden die Woche ist nicht mehr attraktiv“

Michael Zaske stimmte grundsätzlich zu, dass solch ein Umbau der kleinen Krankenhäuser nötig sei – alleine schon, weil Landarzt-Praxen für die Mehrzahl der jüngeren Medizinergeneration nicht mehr attraktiv sein. „Das Modell des Einzelkämpfers, der sich 70 Stunden die Woche für seine Patientinnen und Patienten aufopfert, funktioniert oft nicht mehr. In Versorgungszentren sind Anstellungen und Teilzeit möglich.“ Damit der Umbau gelinge, brauche es aber je nach Schätzungen zwischen 15 und 100 Milliarden Euro extra. Der Bund sei hier gefordert, einen Transformationsfonds aufzusetzen, Brandenburg sei gewillt, sich finanziell daran zu beteiligen.

Dr. Detlef Troppens, Vorstandsvorsitzender Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg

Auch bei den Standesvertretern von niedergelassenen Ärztinnen und Krankenhaus-Ärzten ist die Einsicht da, dass die Sektorengrenzen überwunden werden müssen. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist aber noch unterschiedlich stark ausgeprägt. Dr. Detlef Troppens, Vorstandsvorsitzender Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg bekannte, dass es in der Vergangenheit oft „Futterneid“ um finanzielle Mittel gegeben hätte, wenn Krankenhäuser und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zusammengearbeitet haben. Deshalb müssten sich die Finanzierungsstrukturen insgesamt verändern. „Wer ist für Nahtstelle zwischen Krankenhäusern und KV zuständig? Da erwarte ich eine gesetzliche Rolle des Staates oder der Kassen. Solange es hier keine Antworten gibt, sind wir skeptisch,“ sagte er.

Catrin Steiniger, Vorsitzende des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg

Ob wir künftig stärker in Arztnetzen oder in MVZ´s zusammenarbeiten, sei zweitrangig, sagte Catrin Steiniger, Vorsitzende des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg. Wichtig sei, dass diese Zentren auch von den Vorhaltepauschalen profitieren, die mit der Krankenhaus-Reform kommen sollen. Zudem zeigte sich Steiniger offen dafür, dass Pflegefachkräfte künftig stärker ärztliche Tätigkeiten übernehmen, wie es in einem von Franka Mühlichen vorgestellten Modellprojekt geschehe. „Es muss aus den Köpfen der Ärzte raus, dass wir Angst haben davor. Das wird ganz einfach notwendig sein. Wir müssen die Zentren als Teammodell denken. Das ist nur zu begrüßen“, sagte Steiniger.

Franka Mühlichen, M.A., Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)

Zum Abschluss fragte Moderator Matthias Gabriel, wie notwendig die Krankenhaus-Reform sein werde. AOK-Vorständin Daniela Teichert gab 8 von 10 Punkten, Catrin Steiniger 7 von 10. Nur Dr. Detlef Troppens tat sich schwer – und gab 2 von 10 Punkten.

Es ist also noch ein Weg zu gehen, bis die Frage geklärt ist, ob die Krankenhaus-Reform wirklich die Revolution im deutschen Gesundheitswesen einläutet. Ende Juni soll sich hier der Nebel stärker lichten. Dann wollen Bund und Länder das Ergebnis ihrer Beratungen zur Reform vorstellen.

Leave a reply:

Your email address will not be published.