„Es ist erschreckend, dass jedes Jahr 4.700 Krebspatienten unnötig versterben“

Die Krankenhaus-Reform könnte dazu führen, dass viele Krebspatientinnen- und Patienten künftig bessere Überlebenschancen haben. Aber nur dann, wenn die Reformpläne wirklich konsequent umgesetzt werden, erläutert AOK Nordost-Vorständin Daniela Teichert.

Frau Teichert, 4.700 Sterbefälle von Krebspatienten ließen sich pro Jahr bundesweit durch die Krankenhausreform vermeiden, hat eine Auswertung für die AOK-Gemeinschaft ergeben. Wie kommt diese Zahl zustande? 

Diese Auswertung stammt vom Versorgungsforscher Prof. Jochen Schmitt von der Uni Dresden. Er und sein Team haben in dem groß angelegten Forschungsprojekt „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ mit AOK-Abrechnungsdaten und Krebsregisterdaten die Überlebensrate von Krebspatientinnen und -patienten untersucht. Dabei wurde ermittelt, wie viele Patienten, die in zertifizierten Krebszentren behandelt wurden, fünf Jahre nach der OP noch lebten. Und wie hoch die Überlebensrate derjenigen Patientinnen und Patienten war, die sich in kleineren Krankenhäusern behandeln ließen. Dabei zeigte sich über alle Krebsarten hinweg, dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob ein Krankenhaus auf eine bestimmte Krebsart spezialisiert ist oder nicht. Beispiel Brustkrebs: Wenn eine Frau Brustkrebs bekommt und sich in einem zertifizierten Krebszentrum behandeln lässt, hat sie laut Studie im Schnitt eine 12 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als eine Brustkrebspatientin, die sich in einer nicht-zertifizierten Klinik behandeln lässt. 

Es ist erschreckend, dass bundesweit jedes Jahr rund 4.700 Krebspatienten unnötig sterben – nur weil sie in einem Krankenhaus behandelt wurden, dass nicht die optimale Versorgung bietet. Im Rahmen der Krankenhaus-Reform müssen wir das ändern.  

Daniela Teichert ist Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost Foto: Andrea Katheder

Was muss konkret geändert werden? 

Bleiben wir beim Beispiel Brustkrebs. Im Jahr 2020 ließen sich rund 1.600 Frauen in Brandenburger Krankenhäusern wegen dieser Diagnose operieren. Die Mehrzahl der Frauen wählte dafür eines der sechs Brandenburger Brustkrebszentren aus. In diesen Zentren gibt es nicht nur erfahrene Fachärzte der Chirurgie, Onkologie oder Strahlentherapie. Sondern auch Psychoonkologen, spezialisierte Pflegefachkräfte und Selbsthilfegruppen. Zudem sind diese Zentren mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten vernetzt, so dass Diagnose, Therapie und Nachsorge aufeinander abgestimmt werden. Die Patientinnen können darauf vertrauen, dass es in diesen Zentren sehr gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. 

Das Problem ist: Eine von drei Brandenburger Brustkrebs-Patientinnen ließ sich im Jahr 2020 nicht in einem solchen Zentrum operieren. Sondern in Krankenhäusern, die eine solche Brustkrebs-OP zum Teil nur zwei Mal im Monat durchführten. Das Problem ist: Wer eine solch komplexe OP so selten macht, macht es oft schlechter. Solch eine Gelegenheitsversorgung darf es gerade bei komplexen Eingriffen aus unserer Sicht nicht mehr geben. Im Rahmen der Krankenhausreform muss deshalb festgelegt werden, dass Krebspatientinnen und -patienten nur noch in Krebszentren behandelt werden dürfen. Auch Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten sollten nur noch dort behandelt werden, wo es eine passende personelle und technische Ausstattung gibt. 

Mindestmengen für OPs mit besonders hohem Risiko

Mindestmengen sollen dafür sorgen, dass besonders anspruchsvolle, komplizierte und planbare Operationen oder Behandlungen nur in Kliniken durchgeführt werden, die über ein Mindestmaß an Erfahrung verfügen. Dafür spricht sich Elmar Stollenwerk aus, Vertreter der Selbstverwaltung der AOK Nordost für die Arbeitgeberseite.

Führt eine solche Konzentration nicht dazu, dass die Wege für die Patientinnen und Patienten auf dem Land weiter werden? 

Die Grundversorgung soll ja weiterhin wohnortnah stattfinden, am besten im ambulant-stationären Behandlungszentren. Bei Krebsoperationen oder anderen komplexen Eingriffen ist die Behandlungsqualität aber ganz klar wichtiger als wohnortnahe Behandlung. Stellen Sie sich mal 100 Frauen vor, die in der Uckermark wohnen und vor der Frage stehen, wo Sie ihren Brustkrebs operieren lassen möchten. Wenn Sie diese Frauen fragen: Wollen Sie die OP in einer wohnortnahen Klinik durchführen lassen? Oder wären Sie bereit, eine halbe Stunde bis Stunde länger zum Brustkrebszentrum in Oberhavel, Neuruppin oder Berlin-Buch zu fahren – wenn Sie dafür mit 12 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit in fünf Jahren noch leben? 

Dann wäre die Antwort der meisten Frauen wohl klar. Die Realität ist jedoch, dass nicht alle Patientinnen und Patienten vor einer OP so gut aufgeklärt werden, dass sie eine solch informierte Wahl treffen können. Deshalb braucht es an dieser Stelle klare gesetzliche Rahmenbedingungen, die die höhere Behandlungsqualität zum Standard für alle Versicherten erhebt – egal, ob Sie in der Stadt wohnen oder auf dem Land.  

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