Mit Fernbehandlung näher am Patienten

Vielversprechend und mit Potenzialen für die gesamte medizinische Versorgung: In einem gemeinsamen Pilotprojekt von AOK Nordost und einem Anbieter gerätegestützter Telemedizin hat Monique Salchow-Gille, Internistin in Friedland und Ärztin im Senioren-Wohnpark Friedland sowie in der Pflegeeinrichtung Hanna Simeon in Boock (Mecklenburg-Vorpommern), gerätegestützte Telemedizin eingesetzt. Ein Interview über ihre Erfahrungen und die Möglichkeiten digitaler Fernbehandlung. 

Frau Salchow-Gille, wie bewerten Sie das Pilotprojekt?

Kurz und knapp: Sehr erfolgreich. Ich hatte große Erwartungen, weil wir es hier auf dem Land mit besonders vielen Herausforderungen zu tun haben: Die Menschen werden immer älter, der Betreuungsaufwand im Pflegeheim ist hoch, die Wege sind weit. Ein Heim, das ich betreue, ist über siebzig Kilometer entfernt. Jetzt haben wir gesehen, dass die gerätegestützte Telemedizin dabei helfen kann, die medizinische Versorgung in Zeiten des Ärztemangels sicherzustellen. 

Was für mich als Ärztin hier neu und wichtig ist, ist die Datengrundlage. Unter Telemedizin verstehen manche immer noch ein reines Gespräch über Videotelefonie. Aber das ist natürlich in vielen Fällen keine Grundlage, um medizinische Entscheidungen zu treffen. Bei der gerätegestützten Telemedizin werden über die ans Tablet angeschlossenen Geräte Vitaldaten übertragen, die mir eine verlässliche Grundlage für die ärztliche Bewertung geben. Das Herz oder die Lunge aus der Ferne digital abhören, ebenso das Schreiben und Übermitteln eines EKGs – das wäre früher nicht möglich gewesen.

Wie hat sich Ihre Arbeit als Ärztin verändert?

Die gerätegestützte Telemedizin ermöglicht mir mehr Effizienz und Flexibilität: Statt immer ins Auto steigen zu müssen, um beispielsweise den Verlauf einer Hauterkrankung oder Wundheilung zu überprüfen, kann ich jetzt einige Befunderhebungen digital vornehmen. Ich spare also Zeit durch wegfallende Fahrwege und kann meine Patientinnen und Patienten auch mal kurzfristiger sehen – oder öfter, wenn notwendig.

Ein anderes Beispiel: Ich kann Schwankungen von Vitalparametern – wie unter anderem Puls, Blutdruck oder Körpertemperatur – kurzfristig überprüfen und einordnen. Das erleichtert mir den hausärztlichen Alltag sehr. So ungewohnt es klingt: Mit den Möglichkeiten der gerätegestützten Fernbehandlung bin ich näher an meinen Patientinnen und Patienten, weil ich sie flexibler untersuchen kann.

Monique Salchow-Gille, Internistin in Friedland und Ärztin im Senioren-Wohnpark Friedland sowie in der Pflegeeinrichtung Hanna Simeon in Boock (Mecklenburg-Vorpommern) / Foto: Monique Salchow-Gille

Was bedeutet das für die Patientinnen und Patienten?

Man muss bedenken: Die Bewohnerinnen und Bewohner im Pflegeheim haben oft viele altersspezifische Vorerkrankungen und dementsprechend einen hohen medizinischen Betreuungsbedarf. Es kommt häufig vor, dass bestehende Erkrankungen beobachtet werden müssen oder neue Beschwerden auftauchen.

Da ist es für die Patientinnen und Patienten ein großer Unterschied, ob sie zur ersten Klärung aus ihrer gewohnten Umgebung heraus und beispielsweise zu einem Arzt oder ins Krankenhaus gebracht werden  –  oder ob die digitale Befunderhebung direkt vor Ort möglich ist.

Außerdem können wir die Zeit, die zwischen dem Beschwerdebeginn und dem möglichen hausärztlichen Check vergeht, deutlich verkürzen. Der positive Effekt einer schnelleren Beurteilung von Symptomen mit Entwarnung und sofortiger ärztlicher Anordnung auf Pflegekräfte und die Patientinnen und Patienten ist nicht zu unterschätzen. Das gibt allen Beteiligten eine schnelle Sicherheit in der Versorgung und kann mitunter das Auftreten von Komplikationen rechtzeitig verhindern.

Was braucht es, um gerätegestützte Telemedizin auszubauen?

Zunächst einmal müssen die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Es mag eigenartig anmuten, diesen Punkt im Jahr 2023 noch ansprechen zu müssen, aber: Wir brauchen einen flächendeckenden Zugang zum Internet. Und wir brauchen eine ausreichend große Bandbreite für die Übermittlung der Daten.

Die Beteiligten müssen mit den notwendigen Geräten ausgestattet und geschult werden. Damit einher geht die Stärkung der Digitalkompetenz insgesamt. Bei Knowhow und Akzeptanz haben wir auf allen Seiten – Ärztinnen und Ärzte, Leistungserbringer, Patientinnen und Patienten – noch Luft nach oben. Das ist, wenn es um Neues geht, aber ganz normal.

Ich bin außerdem dafür, gerätegestützte Telemedizin konsequent als Ergänzung der bisherigen medizinischen Versorgung zu denken. Dazu gehört, sie auch sektorenübergreifend und interdisziplinär einzusetzen. Ortsunabhängig anhand von Live-Daten einer Untersuchung eine Symptomatik gemeinsam zu beurteilen, könnte nicht nur Zeit und Wege sparen, sondern durch die gebündelte Expertise auch einen großen Vorteil für die Patientinnen und Patienten haben. Ich glaube, wir haben bisher nur ein Bruchteil dessen auf dem Schirm, was möglich ist.

Das Gesundheitswesen steht insgesamt vor großen Herausforderungen: Fachkräftemangel, der demografische Wandel, außerdem ist das Geld knapp: Welche Lösungsansätze sehen Sie?

Medizinische Versorgung sollte regional gedacht werden. Das bedeutet, konkret vor Ort zu prüfen: Was sind die Besonderheiten? Was sind die Stärken, was die Schwächen dieser Region? Was wird hier am meisten benötigt – und wie können wir es umsetzen? Bei der Lösung muss dann darauf geachtet werden, dass die überregionale Passgenauigkeit gegeben ist, etwa wenn es um rechtliche oder technische Aspekte geht. Aber diesen Blick auf die Gegebenheiten vor Ort, den finde ich wichtig.

Noch zu viele Behandlungsschritte finden isoliert statt. Eine wirklich vernetzte Versorgung wird effektiver und entlastet das Gesundheitssystem, weil finanzielle, technische und personelle Ressourcen zielgerichteter eingesetzt werden. Außerdem hilft sie den Menschen, weil die Behandlung individueller und effizienter wird. Und davon hat jeder was: Krank sind wir irgendwann alle mal.

Das Pilotprojekt zum Einsatz gerätegestützter Telemedizin in Pflegeheimen endete am 31. März 2023. Um gerätegestützte #Telemedizin in Pflegeheimen zu stärken, ermöglichen wir interessierten Ärztinnen und Ärzten bzw. Versorgungszentren und Pflegeheimen die Abrechnung von telemedizinischen Leistungen seit dem 1. August 2023 über Versorgungsverträge nach § 140a SGB V. Die Teilnehmenden sind in der Wahl eines geeigneten technischen Anbieters der gerätegestützten Telemedizin frei. Weitere Informationen finden Sie hier:

Unterlagen für Brandenburg

Unterlagen für Mecklenburg-Vorpommern

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