Konstruktiver Diskurs beim Bürgerdialog zur Zukunft der Pflege

Symbolbild

Der Verein „Zukunftsfeste Pflege e.V.“ hat eine Veranstaltungsreihe organisiert, die im Format eines Bürgerdialogs zum Thema „Zukunft der Pflege“ bis in den Herbst hinein in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet. In den 25 größten Städten des Flächenlandes diskutieren Expertinnen und Experten aus Kommunal- und Landespolitik sowie von Krankenkassen und Pflegeanbietern über Finanzierung, Fachkräfte und mehr. Tom Forbrich, Bereichsleiter Verträge und Produkte, vermittelte bei der Auftaktveranstaltung die Positionen der AOK Nordost auf dem Podium in Neubrandenburg.

Der Verein „Zukunftsfeste Pflege“ ist aus der Initiative „Pflege in Not MV“ hervorgegangen, die mit Demos und markiger Kritik auch an Politik und Krankenkassen auf die Herausforderungen in der Pflege öffentlich aufmerksam machte. Hat sich der Ton geändert?

Das hat sich von einer „Demo- und Krawallatmosphäre“ hin zu einem konstruktiven Diskurs entwickelt. Jetzt sind die Gespräche moderater, viel sach- und lösungsorientierter und berücksichtigen alle Menschen, die einen Anteil daran haben, das Thema zu gestalten. Und das sind neben den Kranken- und Pflegekassen, die Kommunalpolitik und die Politik auf Landesebene, aber auch auf Bundesebene, die es dafür braucht, gesetzliche Regelungen zu schaffen.

Warum beteiligen wir uns als AOK Nordost an einem Format wie dem Bürgerdialog des Vereins „Zukunftsfeste Pflege“ in MV? 

Knapp 13 Prozent unserer Versicherten sind pflegebedürftig. Das sind doppelt so viele wie im GKV-Schnitt. Aus meiner Sicht ist es daher wichtig, dass wir uns auch an dem Diskurs vor Ort beteiligen, wie wir die Pflege in der Zukunft gestalten können.

Welche Themen wurden besonders kontrovers besprochen? 

Es ging zum Beispiel darum, wie Fachkräfte zukünftig für die Pflege gewonnen werden. Das ist ein großes Problem für die Pflegedienste. Aber auch das pflegerische Angebot, was damit zusammenhängt, überhaupt noch vorzuhalten, gerade in der Fläche. Wie begegnet man der hohen Nachfrage auf dem Land? Wie schafft man es auch als Pflegedienst große Distanzen und Strecken zu überwinden, auch mit modernen Möglichkeiten, wie beispielsweise der Telemedizin? Wie schafft man es, Pflege und medizinische Versorgung miteinander zu verbinden? Das war ein wichtiges Thema und natürlich die Finanzierung der Pflege, insbesondere in ländlichen Strukturen, wie wir sie in MV finden.

Welche Aspekte sind uns als AOK Nordost in dem Diskurs wichtig?

Wir fordern klar einen politischen Diskurs. Denn es ist eine politische Frage, ob der Eigenanteil in der Pflege steigt oder nicht und ob die pflegerische Versorgung in der Zukunft auch finanzierbar durch die Pflegekasse ist. Dafür braucht es politische Rahmenbedingungen. Und wir klären auf: Wofür ist Politik verantwortlich? Nämlich für die Bedarfsplanung und für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung.

Wo waren die Fronten verhärtet?

Die Höhe der Vergütung, die wir als Pflegekassen verhandeln, ist immer wieder ein Thema. Die Pflegedienste argumentieren, sie brauchen mehr Geld, um ihre Ausgaben zahlen zu können. Oft müssen Konflikte dann in Schiedsverfahren gelöst werden, weil beispielsweise Pflegedienste ihre Forderungen nicht korrekt nachweisen. Dadurch und auch durch die große Anzahl an Verhandlungen entsteht ein zeitlicher Verzug. Nicht immer gelingt es uns, zeitnah Angebote zu unterbreiten und Verträge zu fertigen. Auch das wurde kritisiert. Das sind Probleme, bei denen wir mit verantwortlich sind, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. In den Vergütungsverhandlungen findet man manchmal so schnell auch keinen Konsens, denn da liegen die Positionen nicht selten weit auseinander.

Was braucht es, um die Pflege zukunftsfest zu machen?

Erstens brauchen wir eine gesetzliche Lösung, die Pflege zu finanzieren. Wir sind gespannt auf die Lösungsvorschläge der Bundesregierung, die bis zum 31. Mai 2024 auf dem Tisch liegen sollen. Heute haben wir gedeckelte Anteile der Pflegekasse. Das heißt die Pflegekasse übernimmt bei Pflegegrad 5 rund 2.000 Euro. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt aber massiv. Die Länder müssen ihrer Verantwortung nachkommen und die Investitionen in eine zukunftsfeste Pflegeinfrastruktur übernehmen. Hier erwarten die Menschen mehr von der Politik.
Zweitens brauchen wir auch, gerade wenn wir auf die Verhandlungsstrukturen schauen, unbedingt Regelungen, wie wir Verhandlungsaufwände minimieren. Das heißt, überall da, wo der Gesetzgeber Dinge nicht regelt, da müssen sich die Vertragsparteien drüber streiten. Und das kostet Zeit und Nerven auf beiden Seiten.

Geben Sie bitte mal ein Beispiel…

Die Pflegedienste sollten sich in Verbänden organisieren und das nicht nur freiwillig, damit wir viel gebündelter, mit viel größeren Gruppen, in die Interaktion treten können.

Wie steht es am Ende um die Verteilung der finanziellen Lasten?

Wir müssen genau darauf achten, dass die Herausforderungen bei der zukünftigen Finanzierung der Pflege nicht zu Lasten der Kassen gehen. Der Gesetzgeber muss hier seiner Rolle in der Daseinsvorsorge nachkommen und sich an den Kosten beteiligen. Außerdem müssen wir die Lasten innerhalb der Gesellschaft noch mehr verteilen. Heute trägt der Versicherte die zusätzlichen Kosten. Das ist wichtig zu wissen: Auf der einen Seite haben wir die Kosten für den Pflegeplatz. Auf der anderen den gedeckelten Anteil durch die Pflegekassen, geregelt durch den entsprechenden Pflegegrad. Die Differenz ist der sogenannte Eigenanteil, für den allein der Versicherte aufkommen muss. Dort, wo er das nicht kann, springt der Sozialhilfeträger ein. Das heißt, wir als Pflegekasse bezahlen den gedeckelten Anteil, gleichzeitig verhandeln wir mit den Anbietern den Preis und die Eigenanteile des Versicherten. Und da braucht es eine Lösung, dass das planbar wird, dass Versicherte vielleicht auch einen höheren Selbstbehalt haben im Alter und nicht ihr gesamtes Erspartes aufbrauchen müssen, um sich die Pflege leisten zu können. Das sind Dinge, die müssen wir in den nächsten Jahren lösen, um dann auch eine Situation zu haben, die für die Gesellschaft tragbar ist.

Info: Am 26. Juni 2024 spricht Jens Kreutzer, Fachbereichsleiter Pflege bei der AOK Nordost, auf dem Bürgerdialog in Waren.

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