Gesundheitsatlas macht Hotspots bei Erkrankungen sichtbar 

Auf 63 Milliarden Euro jährlich schätzt die Uni Hamburg die gesellschaftlichen Folgekosten allein der Adipositas in Deutschland. Der AOK Nordost Gesundheitsatlas kann helfen, Adipositas viel gezielter vorzubeugen als bislang üblich. Wie das funktioniert, erklärt Geodatenanalyst Dr. Boris Kauhl. 

Herr Dr. Kauhl, der AOK Nordost Gesundheitsatlas, den sie federführend entwickelt haben, hat zutage gefördert: In Berlin haben 2021 hochgerechnet rund 380.000 Menschen eine ärztliche Diagnose für starkes Übergewicht, also für Adipositas bekommen. Das sind rund ein Drittel mehr Menschen als noch zehn Jahre zuvor. Auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben die Adipositas-Diagnosen ähnlich stark zugenommen. Wie bewerten Sie das? 

Das ist ein alarmierender Befund, weil Adipositas einer der wichtigsten Risikofaktoren für schwere chronische Folgeerkrankungen ist, vor allem für Typ II Diabetes, Hypertonie und für eine koronare Herzkrankheit. Das gilt aber auch für Erkrankungen, an die man nicht zwangsläufig sofort denkt. Beispielsweise verschiedene Arten von Krebs wie zum Beispiel Dickdarmkrebs oder auch für Depressionen. Zudem zeigt sich, dass adipöse Menschen ein höheres Risiko für schlechtere Behandlungsverläufe bei Atemwegserkrankungen wie COPD und Asthma haben.  

Wer ist… Dr. Boris Kauhl?

Dr. Boris Kauhl ist bei der AOK Nordost für regionale Analysen mit Geographischen Informationssystemen (GIS) zuständig. Er hat über den Einsatz von GIS für Prävention und Planung der Gesundheitsversorgung promoviert. 2017 erhielt er den ZI-Wissenschaftspreis „Regionalisierte Versorgungsforschung“ des Zentralinstitutes für die kassenärztliche Versorgung.

Diese Erkenntnisse haben Sie ebenfalls durch ihre Analysen für den Gesundheitsatlas gewinnen können. Hat es sie selbst überrascht, dass adipöse AOK-Versicherte im Schnitt doppelt so häufig an Rückenschmerzen, Asthma oder Depressionen leiden wie normalgewichtige Versicherte? 

Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Adipositas und vielen chronischen Erkrankungen, das wusste ich aus der wissenschaftlichen Literatur. Dass wir nun genau beziffern können, um wieviel höher das Risiko ist, war auch für mich eine spannende Erkenntnis. Am überraschendsten für mich und auch für viele Kolleginnen und Kollegen hier bei der AOK Nordost aber ist die Erkenntnis, wie ausgeprägt die kleinräumigen regionalen Unterschiede eigentlich sind. Dass also zum Beispiel in Berlin-Mitte am Arkonaplatz nur jeder dreizehnte Versicherte Adipositas hat – ein paar hundert Meter weiter an der Brunnenstraße aber jeder Neunte. 

Ist diese kleinräumige Auflösung auch der Mehrwert, den der AOK Nordost Gesundheitsatlas gegenüber dem Gesundheitsatlas Deutschland hat?

Der Gesundheitsatlas Deutschland, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) im Mai veröffentlicht hat, bietet einen super Überblick über die gesundheitliche Lage der Regionen in Deutschland. Er beschränkt sich aber eben nur auf Ebene der Landkreise. Unsere Ansprechpartner als AOK Nordost in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind allerdings wesentlich lokaler. Das sind beispielsweise lokale Arztnetze, medizinische Versorgungszentren und kassenärztliche Vereinigungen. 

Deshalb wollten wir mit unserem Gesundheitsatlas herausfinden, wo genau unsere Hotspots, also die Erkrankungs-Schwerpunkte sind. Wir haben allein in Berlin 3,8 Millionen Einwohner und eine sehr unterschiedliche Sozialstruktur innerhalb der Bezirke. In Brandenburg haben wir einerseits den Speckgürtel – und anderseits Berlin ferne Regionen. Und auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle. Da macht es absolut Sinn, sehr genau hinzuschauen.  

Der Gesundheitsatlas der AOK Nordost

Der neue interaktive AOK Nordost Gesundheitsatlas gibt detaillierte Einblicke, wie weit verbreitet die zehn häufigsten chronischen Erkrankungen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind. Und zwar nicht nur auf Ebene der Landkreise oder Bezirke, sondern runter bis auf die Gemeindeebene. Diese Daten können dabei helfen, Erkrankungen wie Adipositas viel gezielter vorzubeugen als bislang üblich.

Wie hilft die sehr feine Auflösung des Gesundheitsatlas konkret dabei, die Versorgung für die Menschen zu verbessern?   

Sie hilft konkret dabei, neue Arztsitze dorthin zu vergeben, wo die ärztliche Versorgung am dringendsten gebraucht wird. Die Bedarfsplanung der Haus- und Fachärzte ist ja organisiert zwischen der kassenärztlichen Vereinigung und den Vertretern der Krankenkassen. Dabei wird eine bestimmte Anzahl an Arztsitzen pro Landkreis ausgeschrieben. Wenn wir als AOK Nordost mithilfe des Gesundheitsatlas wissen, dass in einigen Gemeinden beispielsweise die Prävalenz von Diabetes Typ zwei besonders hoch ist, dann können wir im Zulassungs-Ausschusses darauf hinwirken, dass sich die Fachärzte genau in den Gemeinden niederlassen, wo sie auch gebraucht werden. Und nicht beispielsweise im Berliner Speckgürtel, wo bereits eine hohe Facharztdichte vorhanden ist. 

Hilft der Atlas auch dabei, Präventionsprojekte für Adipositas wie die GemüseAckerdemie, Henrietta und wildGreen künftig noch gezielter dort anzusiedeln, wo besonders viele Menschen von Adipositas betroffen sind? 

So ist es. Bisher wussten wir, dass wir nicht unbedingt nach Berlin-Zehlendorf gehen müssen, sondern uns um Neukölln und Kreuzberg kümmern müssen. Jetzt wissen wir ganz genau: Wir müssen uns in Kreuzberg um den Oranienplatz und in Neukölln um die Glasower Straße kümmern – denn dort sind unsere Hotspots. Wir können das Problem also wesentlich genauer eingrenzen. Und schlussendlich hilft das auch, das zur Verfügung stehende Geld viel gezielter und wirkungsvoller einzusetzen.  

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